Jugend und Corona: Freiräume denen, die sie brauchen

Nr. 7 –

Die deutsche Bundesregierung nannte sie «besondere Helden» und widmete ihnen gleich mehrere virale Werbeclips über das Zuhausesitzen und Nichtstun. Die heroische Rolle, die der Jugend während der Coronapandemie zugeschrieben wird, ist jene der passiven ZuschauerInnen. Das ist auch hierzulande so, wo der Bundesrat die «Generation Corona» im besten Fall mitmeint, deren Bedürfnisse bisher aber kaum wahrnimmt.

Sie sollen zu Hause bleiben, am Unterricht teilnehmen oder arbeiten. Und bloss nicht dagegen aufbegehren, dass der Massnahmendiskurs über sie, aber nicht mit ihnen geführt wird.

Dabei gäbe es genügend Ansatzpunkte, um sich mit der Situation der Jugend während Corona auseinanderzusetzen: Psychische Probleme, Depressionen, Ess- und Angststörungen nehmen besonders bei Jugendlichen seit März stark zu (vgl. «Und plötzlich fehlt die Struktur» ). Hinzu kommen der Strukturverlust, Zukunftsangst, Perspektivlosigkeit. Die Ausbildungssituation ist verschärft, Schnupperlehren oder Ferienjobs fallen weg. Und auch wenn nicht jeder Haushalt ein Problemherd ist: In den eigenen vier Wänden stirbt die womöglich gerade erst erlangte Autonomie in der familiären Rollenverteilung.

Zu Wort kommen Jugendliche in den Medien derweil meist nur dann, wenn es darum geht, sich für ihren vermeintlichen Ungehorsam, etwa illegale Partys, Treffen mit über fünf Personen am Bahnhof oder auf öffentlichen Plätzen, zu entschuldigen. Oder bei der Frage, wie Schulen oder Lehrbetriebe mit der Pandemie umzugehen haben. Was die übrigen Massnahmen angeht, scheint ihre Einstellung weitgehend unwichtig. Dieser Umgang ist entlarvend, weil er aufzeigt, als was die Jugend im helvetischen Spätkapitalismus verstanden wird: als Vorbereitungszeit auf den Arbeitsmarkt, zur Steigerung von Wirtschaftsleistung und Kaufkraft.

Kein Wunder also, werden auch die Pandemiemassnahmen daran bemessen, wann Fünfzehn- bis Sechzehnjährige ihren ersten Lehrlingslohn wieder in den Shoppingmeilen und Clubs dieses Landes werden verballern können, anstatt sich in S-Bahnen zu betrinken oder zu verprügeln. Dabei geht vergessen, dass die geltenden Massnahmen für Jugendliche nicht deswegen besonders belastend sind, weil sie deren Konsumlust ausbremsen, sondern weil sie ihnen etwas wegnehmen, was unglücklicherweise direkt mit Konsum zusammenhängt: Frei- und Begegnungsräume.

In einer H&M-Kabine mit den Freundinnen stundenlang Kleider anzuprobieren, ist ein Freiraum. Draussen nach dem Volleyballtraining zusammen eine zu rauchen, ist ein Freiraum. Der Heimsektor im Stadion ist ein Freiraum. Freiräume werden nur deswegen immer öfter mit Konsum gleichgesetzt, weil konsumbefreite Räume schlichtweg fehlen – und daran wird ja wohl kaum die Jugend schuld sein.

Wenn die Coronamassnahmen also vordergründig den Konsum einschränken und Beizen, Kinos und Läden dichtmachen, dann gehen nicht nur die wirtschaftlich offenkundig relevanten Aspekte dieser Orte verloren, sondern auch ihre sekundäre Funktion, ein Freiraum zu sein.

Statt also das unangepasste Verhalten mancher Jugendlicher während der Pandemie zu verurteilen, sollte sich die Politik gezielt mit deren Bedürfnissen befassen, auch wenn das bedeutet, einmal nicht über verlorene Einnahmen und Gewinneinbrüche zu sprechen. Themen wie die Wichtigkeit sozialen Austausches unter Heranwachsenden für deren Charakterbildung, Entwicklung und Selbstreflexion, ja auch Politisierung dürfen nicht länger vernachlässigt werden. Vielmehr sollte sich die Regierung überlegen, wie gerade Jugendliche einen Weg aus dem Lockdown finden: Dazu braucht es nicht mehr, sondern weniger Polizei und Kontrolle im öffentlichen Raum. Und Orte, an denen auch während der Pandemie Begegnungen möglich sind.

Darüber hinaus braucht es eine zukunftsgerichtete Diskussion, wie längerfristig konsumbefreite Freiräume und Safe Spaces geschaffen werden können, sodass im Falle der nächsten Pandemie ein Shutdown der Wirtschaft nicht mit einem Shutdown jugendlicher Autonomie einhergeht.