Corona-Call (8):: Kunst als Kraft und Antrieb

Nr. 9 –

«Seit zehn Jahren bin ich in Südkorea und China als Künstlerin und Pädagogin unterwegs. Ich war gerade am Aufbau eines Netzwerks von Musikschulen für Kinder in China, als im Januar 2020 alles dichtgemacht wurde. Aus dem langen Warten auf Vertragsunterschriften wurde irgendwann die Einsicht, dass daraus vorerst nichts mehr wird. Das war sehr schwierig zu begreifen, denn ich hatte die letzten fünf Jahre an diesem Projekt gearbeitet. Zugleich war es meine verlässlichste Einkommensquelle.

Anfangs hatte ich noch kleinere Kunst- und Theaterprojekte in Südkorea, doch auch diese wurden Schritt für Schritt abgesagt. Irgendwann merkte ich, dass ich Geld brauchte und auch das Reisen immer schwieriger wurde. Also entschied ich mich, in der Schweiz nach Stellvertretungen in der Musikpädagogik zu suchen. Sehr schnell fand ich etwas an der Musikschule Konservatorium in Zürich. Bereits nach einer Woche Unterricht mit den Kindern wurden die Schulen aber auch hier geschlossen. Ich dachte zuerst, das sei ein schlechter Witz, und hatte Angst, meine Stelle wieder zu verlieren. Das geschah glücklicherweise nicht, und so versuchte ich, mit den Kindern spielerische Fernaufgaben zu machen. Ich merkte, dass viele Familien mit dem Unterricht zu Hause überfordert waren, und wollte Unterstützung und Abwechslung im Lern- und Arbeitsalltag bieten. Das kam sehr gut an.

Aktuell arbeite ich an einem Projekt mit dem Titel «Lost & Found». Es gibt heute so viele Optionen, in denen wir uns verlieren. Wenige finden wirkliche Erfüllung. Mit Bewegung und Musik will ich die kleinen Momente des Glücks und der Zufriedenheit erforschen. Dabei greife ich auf das künstlerische Vokabular aus der traditionellen Pekingoper zurück, das ich mir während meiner Ausbildung an der Nationalen Akademie für Chinesische Theaterkunst in Peking aneignen konnte. Hinzu kommen Elemente aus dem koreanischen Kampfsport und dem traditionellen Maskenspiel, die mein Bühnenpartner Hongsoo Kim mitbringt. Dabei habe ich das Privileg, vom Kanton Thurgau einen Förderbeitrag erhalten zu haben. Aber die künstlerische Umsetzung aufgrund der aktuellen Lage bleibt herausfordernd. Denn mein Ziel ist es, Kinder und Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen einzubeziehen. Dabei sind Sprache, Bewegung, Tanz und Körperspiel die idealen Mittel, um sich zu verständigen und zu verbinden. Das fehlt grad sehr.

Auch in Südkorea und China steht die Kultur still. Es gibt zwar finanzielle Unterstützung vom Staat, aber viele freischaffende Künstlerinnen und Künstler fallen durch die Maschen. Sie erfüllen die Bedingungen nicht oder können keine feste Anstellung vorweisen. Dabei sind die Zukunftsperspektiven wenig rosig. Zwar sind die staatlichen Einschränkungen weniger streng, doch die Bevölkerung ist äusserst diszipliniert. Treffen in grösseren Gruppen sind nicht denkbar, auch Auftritte vor Publikum werden noch länger ausbleiben.

Das macht die Lage für viele im Kunstbereich sehr schwierig. Ich habe dabei grosses Glück. In der Pädagogik habe ich mir schon länger ein zweites Standbein aufgebaut, und im letzten Jahr konnte ich von Fördergeldern profitieren. Aktuell sind Hongsoo Kim und ich in der Villa Sträuli in Winterthur einquartiert. Hier haben wir endlich wieder die Möglichkeit, gemeinsam in Tanzräumen zu üben und Neues zu erforschen. In dieser Krise merke ich auch, welche grosse Kraft und was für ein Antrieb in der Kunst stecken kann. Diese merkwürdige Zeit zwingt uns, uns mit uns selber zu befassen und uns zu erforschen, weil so viel Äusseres wegfällt. Das löst natürlich enorm viel aus. Dabei versuche ich, die dadurch gewonnenen Einsichten wieder nach aussen zu tragen, sobald es möglich ist.»

Rahel Zoë Buschor (37) ist Bewegungskünstlerin und Pädagogin in China, Südkorea und in der Schweiz. Ihr Wunsch ist eine eigene Kunstvilla mit «Artists in Residence» aus aller Welt.