Palantir Technologies: Fauler Datenzauber am Zürichsee

Nr. 16 –

Der US-Softwarekonzern Palantir rennt in der Schweiz offene Türen ein – trotz Flops und Skandalen. Mit Schweizer Unterstützung will das Unternehmen nun das lukrative Geschäft mit Regierungen und Behörden ausbauen.

Saurons Auge aus «Der Herr der Ringe». Foto: Alamy

Anfang April enthüllten der «Guardian» und der «Spiegel», wie der umstrittene US-Softwarekonzern Palantir Technologies mehreren europäischen Regierungen IT-Unterstützung bei der Pandemiebekämpfung anbot. Ein Angebot, das etwa Griechenland oder die Niederlande angenommen haben.

Recherchen der WOZ zeigen nun, dass auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Anfang Jahr ein Angebot von Palantir erhalten hat. «Das BAG hat das Angebot abgelehnt. Es arbeitet nicht und hat auch nicht mit Palantir zusammengearbeitet», schreibt das Departement.

Palantir, benannt nach den «sehenden Steinen» aus dem Fantasyroman «Der Herr der Ringe», gehört gemäss «Spiegel» zu den «umstrittensten und intransparentesten Techfirmen der Welt». Und ausgerechnet Swiss Re, die weltweit zweitgrösste Rückversicherin mit Sitz in Zürich, scheint Palantir als Türöffner für das ebenso lukrative wie datenrechtlich heikle Feld der Gesundheitspolitik gedient zu haben: «Unsere Pandemieexperten haben gemeinsam mit Palantir Technologies das Risk Resilience Center entwickelt, das Gesundheits-, Wirtschafts- und Sozialdaten auf einer einzigen Plattform sammelt», steht als bisher unbeachtete Randnotiz im aktuellen Swiss-Re-Geschäftsbericht. Man habe «einen aktiven Dialog mit Regierungen in aller Welt gepflegt, um Lösungen zu entwickeln, die gewährleisten, dass wir als Gesellschaft insgesamt für die nächste Pandemie besser gerüstet sind».

Mit welchen Regierungen ein «aktiver Dialog» stattgefunden hat, wollte Swiss Re trotz mehrfacher Nachfrage nicht sagen.

Europa-Hub am Zürichsee

Die Schweiz ist jedenfalls ein gutes Pflaster für Palantir. So verkündete der Schweizer Medienkonzern Ringier just am Dienstag dieser Woche, er werde die bereits bestehende Zusammenarbeit mit der US-Softwarefirma erweitern. Ein Schritt, der sich abgezeichnet hat. Seit letztem Sommer sitzt mit der ehemaligen österreichischen Spitzenpolitikerin Laura Rudas (SPÖ) eine hochrangige Palantir-Managerin im Ringier-Verwaltungsrat.

«Wir haben während unserer rund zweijährigen Zusammenarbeit sehr viel von Palantir gelernt», teilt Ringier auf Anfrage mit. Im Zentrum steht die Nutzung der Software Foundry, die es den JournalistInnen ermögliche, «fundiertere Entscheidungen darüber zu treffen, welche Inhalte am besten die Erwartungen der Leserinnen und Leser erfüllen». Ebenso komme Foundry in der Werbevermarktung zum Einsatz.

Technologielösungen von Palantir nutzt auch die Credit Suisse: «zur Abwehr von Finanzkriminalität». Vor einigen Jahren gründete die Schweizer Grossbank sogar ein Gemeinschaftsunternehmen namens Signac mit Palantir. Es sollte eine Software entwickeln, um FinanzhändlerInnen mit kriminellen Absichten auf frischer Tat zu ertappen. Doch das Projekt endete mit der vorzeitigen Auflösung des Unternehmens. Eine ehemalige Managerin von Signac warf der Schweizer Bank sogar vor, ausspioniert und aus der Firma gedrängt worden zu sein – ein Vorwurf, den die CS bestreitet. Der Fall ist in den USA vor Gericht hängig. An der Zusammenarbeit mit Palantir hält die CS trotz des Signac-Debakels weiter fest. «Zu den näheren Details der aktuell eingesetzten Softwarelösung äussern wir uns nicht», schreibt die Pressestelle der Bank, bestätigt aber, dass keine Beteiligung an Palantir vorliege.

Der vorläufige Höhepunkt von Palantirs Expansion in der Schweiz folgte im Februar, als bekannt wurde, dass der Softwarekonzern in Altendorf am Ufer des Zürichsees einen Europa-Hub aufbauen will. Urs Durrer, Vorsteher des Schwyzer Amtes für Wirtschaft, bestätigte damals, dass «der grosse Techkonzern» auf sein Amt zugekommen sei und dieses die Ansiedlung begleitet habe. Zwanzig bis vierzig SoftwareingenieurInnen sollen bald in Altendorf arbeiten. Gemäss Durrer waren nicht etwaige steuerliche Vorteile entscheidend für die Ansiedlung gewesen, sondern vor allem die Nähe zum Wirtschaftsraum Zürich und zum Flughafen.

Die WOZ hätte gerne Genaueres über die strategische Ausrichtung des neuen Europa-Hubs gewusst und ob angesichts von teils heftiger internationaler Kritik an Palantir keine Reputationsschäden befürchtet werden. Der Schwyzer Wirtschaftsförderer Durrer antwortete, man solle die Fragen direkt an Palantir richten. Von dort kam die Rückmeldung, man könne «pandemiebedingt noch keine Aussagen zur konkreten Planung in Altendorf tätigen».

Ungenügender Datenschutz

Die Unbefangenheit, mit der namhafte Schweizer Firmen ihre Zusammenarbeit mit Palantir zelebrieren, ist erstaunlich. Bereits die Firmengründung im Jahr 2003 weist einen problematischen Aspekt auf: In-Q-Tel, das Risikokapitalvehikel des US-Geheimdienstes CIA, beteiligte sich massgeblich an der Anschubfinanzierung und ist bis heute – wie auch das FBI oder die NSA – ein Palantir-Kunde.

Prominenter Mitgründer von Palantir ist der rechtslibertäre Techmilliardär und Trump-Unterstützer Peter Thiel, der auch heute noch einen wesentlichen Anteil an der mittlerweile börsennotierten Firma hält. Für das operative Geschäft ist allerdings CEO Alex Karp zuständig, der «Datenzauberer von Palo Alto» («Blick»), der «jedes Jahr mehr als 4500 Kilometer auf Langlauf-Ski abspult» («Bilanz») und sich bei jeder Gelegenheit von den anderen Techkonzernen aus dem Silicon Valley abgrenzt – als patriotische Alternative, die den Staat nicht als regulierendes Störelement, sondern als zentralen Auftraggeber sieht.

Im Wesentlichen bietet Palantir zwei Produkte an: das auch bei Ringier eingesetzte Foundry für private und zivile Anbieter sowie Gotham für Nachrichtendienste, Sicherheitsbehörden und Militärs. Beide Produkte vereinen Daten aus unterschiedlichen Formaten und Datenbanken zu einer einzigen Plattform und machen diese auswertbar.

Dabei sorgt Palantir immer wieder für Flops und Skandale. Erst letzte Woche enthüllte der «Spiegel», dass die nordrhein-westfälische Datenschutzbeauftragte den Einsatz einer Analysesoftware von Palantir durch die Polizei des Bundeslands für unzulässig erklärt hatte. Und Anfang Jahr konnte die Soziologin Sarah Brayne mit einer Undercoverrecherche bei der Polizeibehörde von Los Angeles aufzeigen, dass die dort eingesetzte Palantir-Technologie zu rassistisch motivierter Polizeiarbeit geführt hatte. Bekannt ist auch, dass Europol sowie die Polizei in New York und New Orleans die Zusammenarbeit mit Palantir wieder aufgaben, unter anderem wegen hoher Kosten sowie ständig nötiger Anpassungen.

Mystik als Verkaufsschlager

Besonders in der Kritik steht Palantir für seine Zusammenarbeit mit der US-Einwanderungsbehörde ICE. Amnesty International warf dem Softwarekonzern letzten Herbst in einem fundierten Report vor, seine Sorgfaltspflichten für Menschenrechte zu missachten. Durch den Einsatz von Palantir-Software konnte die ICE MigrantInnen identifizieren und verfolgen, um Verhaftungen und Razzien am Arbeitsplatz durchzuführen, was wiederum zu illegalen Familientrennungen, Inhaftierungen und Abschiebungen führte.

Während Palantir in der Schweizer Privatwirtschaft offene Türen einrennt, halten sich die Bundes- und Kantonsbehörden bisher zurück. Die Anfrage bei den sieben eidgenössischen Departementen ergab, dass keinerlei Kooperationen oder Verträge mit Palantir bestehen. Das gleiche Ergebnis brachte auch die Anfrage bei den insgesamt 26 Kantonspolizeien.

Nicolas Kayser-Bril von der deutschen Initiative Algorithmwatch hat in den letzten Jahren die Expansionsstrategie von Palantir in Europa verfolgt und die Zusammenarbeit mit Grosskonzernen wie Airbus, Fiat Chrysler Automobiles oder Axel Springer beleuchtet. Kayser-Bril hält Palantir, dessen aktueller Börsenwert mit über 35 Milliarden Euro deutlich über jenem der CS (23 Milliarden Euro) liegt, für keinen besonders herausragenden Softwareanbieter: «Das zeigt etwa ihr letztjähriger Börsenbericht, der einen Vergleich der Softwarefunktionen mit anderen Wettbewerbern zulässt.» Derselbe Bericht offenbarte auch, dass Palantir in den letzten Jahren jeweils erhebliche Verluste einfuhr, allein 2019 waren es 580 Millionen US-Dollar. Aber Palantir verkaufe sich sehr geschickt: «Die Mystik, die Palantir bewusst entwickelt hat, spielt eine grosse Rolle dabei.»

In der Schweiz zeigt sich das gerade besonders exemplarisch.

Im dienst der USa: Schmutzkampagne gegen Wikileaks

Ein unrühmliches Kapitel in der Geschichte des Softwarekonzerns Palantir betrifft die Enthüllungsplattform Wikileaks. Anfang 2011 enthüllte das Hackerkollektiv Anonymous, dass sich Palantir an einer proaktiven Kampagne gegen Wikileaks beteiligen sollte – bestehend aus Desinformation sowie Cyberattacken auf Server. Zum Plan gehörte auch, den prominenten überwachungskritischen US-Journalisten Glenn Greenwald von seiner Unterstützung für die Enthüllungsplattform abzubringen. Wikileaks hatte ein paar Wochen zuvor eine Sammlung von über 250 000 Depeschen US-amerikanischer Botschaften publiziert und so die US-Regierung blamiert.

Als die Beteiligung von Palantir an der Kampagne herauskam, entschuldigte sich CEO Alex Karp öffentlich und erklärte, das Projekt sei nicht von der Unternehmensleitung abgesegnet gewesen. Vielmehr habe ein einzelner Mitarbeiter die Verantwortung dafür getragen, und diesen habe man nach einer externen Untersuchung entlassen.

Während Palantir weitgehend unbeschadet aus der Affäre hervorging, setzte die US-Regierung und -Justiz Wikileaks und insbesondere den Gründer der Plattform, Julian Assange, massiv unter Druck. Seit mittlerweile zwei Jahren sitzt der Australier im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh ein, ihm droht weiter die Auslieferung an die USA. Mit «Der Fall Julian Assange» ist just diesen Montag ein neues Buch über die Hintergründe seiner Verfolgung und Inhaftierung erschienen. Verfasst hat es Nils Melzer, Schweizer Jurist und Uno-Sonderberichterstatter für Folter.

Jan Jirát