Rebekka Zeinzinger übersetzt aus dem Bosnischen, Kroatischen und Serbischen. Sie erzählt von absurden Auswüchsen der Sprachpolitik auf dem Balkan. «Der Effekt der Fremdheit kann auch guttun»
WOZ: Frau Zeinzinger, Sie haben den kürzlich erschienenen Roman «Fang den Hasen» von Lana Bastasic auf Deutsch übersetzt. Gab es eine Stelle, an der Sie fast verzweifelt sind?
Rebekka Zeinzinger: Zum Glück nicht. Aber es gab schon ein paar knifflige Stellen. Etwa einen Ausschnitt aus einem Lied von Tajci, einer Sängerin, die Jugoslawien 1990 am Eurovision Song Contest vertreten hat. Es ist ein seichtes Lied; ich wollte den Reim beibehalten, aber auch das Eingängige transportieren, den Schlagercharakter ins Deutsche übertragen. Ich habe so viele Versionen gemacht, ich weiss gar nicht mehr, welche ich am Schluss genommen habe. Lyrik ist schwierig, weil der Klang so wichtig ist. Beim Transfer in eine andere Sprache muss man versuchen, die jeweiligen Effekte mit anderen Mitteln zu erzeugen.
Wie sind Sie mit Stellen umgegangen, die mit feinen Unterschieden zwischen Bosnisch, Serbisch und Kroatisch spielen? Ist so etwas übersetzbar?
Eher nicht. Gerade weil die Unterschiede so minim sind – oft sind es einzelne Wörter, die die eine oder andere Varietät kennzeichnen: Als die Protagonistin in Zagreb ankommt, weiss der Taxifahrer etwa sofort, dass sie in Bosnien aufgewachsen ist, weil das Wort für «Bahnhof» im Kroatischen ein anderes ist. Das konnte ich so nicht übersetzen.
Diese alltäglichen Situationen im Buch zeigen, wie stark Sprache im ehemaligen Jugoslawien an Identität und Politik gebunden war. Das fängt schon in der Kindheit der Protagonistinnen an: Die eine ist Serbin, die andere Bosniakin. Sie wachsen als beste Freundinnen in derselben Stadt, im selben Quartier auf, sie sprechen die gleiche Sprache. Und auf einmal wird ihnen gesagt, dass das jetzt nicht mehr so sei. Diese Nuancen sind auf Deutsch kaum übertragbar, man müsste, um sie verständlich zu machen, drumherum viel erklären.
Sie haben das zum Teil mit einem Glossar gelöst.
Ich bin keine Freundin von langatmigen Erklärungen oder Fussnoten, weil das beim Lesen immer einen Bruch darstellt. Deshalb habe ich mich mit dem Verlag auf ein Glossar geeinigt. Eine andere Möglichkeit ist, manchmal eine Information in Form von ein, zwei Wörtern hinzuzufügen, also zum Beispiel einen Begriff als «das kroatische Wort» oder «das serbische Wort» zu kennzeichnen – wie es im Original natürlich nicht drin ist.
Gibt es Texte, die wegen des fehlenden Kontexts in der Zielsprache nicht übersetzbar sind?
Je weiter eine Sprache kulturell entfernt ist, desto mehr Kontextwissen braucht es – das macht auch die Übersetzungsarbeit aufwendiger. Aber unmöglich wird sie damit noch lange nicht. Ich glaube nicht, dass es einen unübersetzbaren Text gibt – es geht sowieso bei jeder Übersetzung irgendetwas verloren. Oder besser: Es verändert sich etwas. Deshalb kann man es auch immer versuchen.
«Fang den Hasen» ist Ihr erstes grösseres Übersetzungsprojekt. Wie sind Sie zum Übersetzen gekommen?
Als ich in Sarajevo lebte und an der Uni unterrichtete, habe ich gemerkt, wie viel gute Literatur es dort gibt, die nicht in andere Sprachen übersetzt ist. Die Autorinnen und Autoren haben oft keine Agentur, keine Lobby, die sich dafür einsetzen würde. Das hat mich interessiert – ich habe Kurse besucht und dann einfach mal mit dem Übersetzen angefangen, mehr für mich selbst. Bei «Fang den Hasen» war es so, dass ich vom Buch total begeistert war. Ich habe das erste Kapitel übersetzt und es an einen Verlag geschickt. Die meinten, die Rechte seien schon beim Fischer-Verlag, ich solle es doch dort versuchen. Da hab ich denen auf gut Glück die Probeübersetzung geschickt – und sie haben zugesagt. Aber eben, es ist eher ungewöhnlich, dass eine bosnische Autorin von einem grossen Verlag in Deutschland publiziert wird.
Gibt es einen Grund, dass das gerade bei diesem Buch passiert ist?
Das ist auch Lana Bastasics eigener Initiative zu verdanken, sie hat das Buch selbst ins Englische übersetzt und es dann über eine Agentur an diverse Verlage geschickt. Das macht den Prozess einfacher. Sonst ist es sehr schwer, aus dem Bosnischen, Serbischen oder Kroatischen irgendwo anzudocken. Das liegt an der dortigen Verlagslandschaft und am Buchmarkt, die beide sehr zersplittert sind, die Verlage haben wenig Macht. In Bosnien kannst du keine Bücher kaufen, die in Kroatien oder Serbien erscheinen. Was absurd ist, weil es fast dieselbe Sprache ist.
Die Sprachpolitik macht vieles umständlich: «Fang den Hasen» ist zuerst bei einem serbischen Verlag in Belgrad erschienen. Dann hat ein bosnischer Verlag in Sarajevo eine andere Ausgabe veröffentlicht – mit dem identischen Text. Es wurde gar nichts verändert, nur nannten sie es einmal Serbisch, einmal Bosnisch. Auch deswegen gibt es innerhalb des Kulturraums literarisch wenig Austausch.
Gibt es Leute, die sich weigern, ein Buch zu lesen, weil es nicht in einer spezifischen Sprache publiziert ist, obwohl sie sie verstehen?
Ich glaube, bei Büchern passiert das selten. Ich würde sagen, jene, die sich für Literatur interessieren, sind nicht so engstirnig. Die Leute verstehen einander ja problemlos, die meisten sagen sowieso nicht spezifisch, sie sprächen Serbisch, Bosnisch oder Kroatisch, sondern reden von «nas jezik», unserer Sprache. Linguistisch gesehen sind es verschiedene Varietäten derselben Sprache, mit wenigen Unterschieden.
Das Beharren auf einer an die Nation oder Ethnie gebundenen eigenen Sprache ist für viele etwas, für das sie sich nicht selber entschieden haben, das ihnen übergestülpt wurde. So wie das auch den Protagonistinnen in «Fang den Hasen» geschieht: Plötzlich sagt deine Sprache etwas anderes über deine Identität aus als zuvor. Aber eben, es gibt wohl nur wenige Leute, die es aus Prinzip ablehnen, sich mit der Literatur der anderen Nationen zu beschäftigen. Ich kenne das eher von Grenzbeamten, die irgendwann vorgeben, sie verstünden dich nicht, weil sie nicht mehr mit dir reden wollen. Eine Trotzgeste: Allen Beteiligten ist klar, dass das nicht an der Sprache liegt.
Sind diese Unterschiede, die Konflikte, die sich an der Sprache zeigen, auch anderswo im Alltag sichtbar?
Unterschwellig ist das Thema immer da. Die Sprache ist eng verbunden mit dem Nationalismus, der ja sehr stark ist auf dem Balkan, schon deshalb ist sie ein umstrittenes Feld. Ich hatte einen Kollegen an der Uni, der war zuvor im Parlament von Bosnien-Herzegowina angestellt gewesen, als Übersetzer zwischen Bosnisch und Kroatisch. Das ist lächerlich, seine Aufgabe bestand darin, gewisse Wörter, die als zu bosnisch wahrgenommen wurden, durch kroatische zu ersetzen. Seit dem Zerfall Jugoslawiens ist ein Sprachpurismus aufgekommen. Die verschiedenen Nationen versuchen, bewusst Unterschiede zu schaffen – als Teil einer neuen Identität.
Verstehen Sie die Übersetzungsarbeit als eine politische Arbeit?
Im Sinne einer Vermittlungsarbeit vielleicht schon. Weil ich durch das Übersetzen die Möglichkeit habe, nicht über den Balkan zu sprechen, sondern direkt dafür zu sorgen, dass die Stimmen der Menschen dort stärker wahrgenommen werden. Die slawischen Länder sind uns sehr nah, geografisch und kulturell. Und trotzdem habe ich erst nach meinen drei Jahren in Sarajevo gemerkt, wie viel Serbisch, Kroatisch, Bosnisch in Wien gesprochen wird, wie viel jener Kultur auch in dieser Stadt steckt.
Der Roadtrip in «Fang den Hasen» führt nach Wien, in Bosnien spielt Mostar eine Rolle sowie Banja Luka, die Heimatstadt der Protagonistinnen. Haben Sie diese Orte für Ihre Arbeit besucht?
Das war mit ein Grund, warum mich dieses Buch so fasziniert hat – ich kannte all diese Orte schon, ich hab mich darin sofort wiedergefunden. Das war aber wiederum eine Schwierigkeit beim Übersetzen: Wie viel Erklärung muss ich für ein deutschsprachiges Publikum dazugeben? Es ist wichtig, da einen Schritt von sich weg zu machen und sich zu überlegen, was jemand verstehen kann, der gar keinen Bezug zum Balkan hat.
Es kann auch eine bewusste Entscheidung sein, gar nichts zu erklären.
Sicher, ich tendiere auch zu diesem Umgang, das merkt man meiner Übersetzung ja auch an. Ich bin dafür, dass man einige Dinge, auch oder gerade, weil sie fremd sind, einfach mal stehen lässt. Der Effekt der Fremdheit und die damit verbundene Irritation können auch guttun – man muss nicht alles der Zielkultur anpassen und damit Sachen verfälschen. Keiner würde auf die Idee kommen, die Oxford Street mit «Oxfordstrasse» zu übersetzen. Aber die Titova ulica (Marschall-Tito-Strasse) in Sarajevo, die irritiert uns. Vielleicht kann ich mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass diese Kultur im deutschsprachigen Raum etwas vertrauter wird.
Rebekka Zeinzinger
In Wien und Genf hat Rebekka Zeinzinger, geboren 1992 in Niederösterreich, Germanistik, Geschichte und vergleichende Literaturwissenschaft studiert. Sie lebte drei Jahre in Sarajevo, wo sie an der Uni Deutsch als Fremdsprache unterrichtete und nebenbei mit dem Übersetzen anfing. «Fang den Hasen» von Lana Bastasic ist ihre erste grosse Übersetzungsarbeit (vgl. «Streit im Opel Astra» ). Heute lebt Zeinzinger in Wien.
An den Literaturtagen tritt Rebekka Zeinzinger am Freitag, 14. Mai 2021, um 14 Uhr und um 19 Uhr auf.