Fünf Pässe und 
eine Waffe
 In ihrem Roman 
«Die Marschallin» deckt Zora del Buono ein lang gehütetes 
Familiengeheimnis 
ihrer Grossmutter auf.

wobei 3/

«Vergiss nicht, du trägst ihren Namen, hatte Tante Mila gewarnt. Man solle Geheimnisse dort belassen, wo sie hingehörten: im Reich des Schweigens.» Ein Einstieg mit Widerspruch – hätte Zora del Buono geschwiegen, gäbe es nicht «Die Marschallin», ihren Roman über eine Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwischen Slowenien, Italien und Jugoslawien, über Widersprüche, Verwicklungen, Überzeugungen und Schuld.

Zora del Buono, geboren 1962 in Zürich, lebt seit 1987 in Berlin, hat – gegen die Warnung von Tante Mila – über ihre oft wenig gradlinige Grossmutter Zora Del Buono geschrieben. Das grosse D im Nachnamen hatte diese ändern lassen, kleingeschrieben wird in Italien der Hinweis auf aristokratische Abstammung. Die Grossmutter wollte Nähe zu einfachen Leuten suggerieren.

Kräftige Werturteile

Zora del Buono studierte Architektur in Zürich. Sie erzählt beim Treffen in Berlin vom Glück, das der Umzug nach Westberlin für sie bedeutete, Aufbruch, Aufatmen, ein Brustlöser nach dem Zwingli-Protestantismus. Jahre als Bauleiterin, ihr Herz schlug mit den HandwerkerInnen, nie mit den Bauherren, sie gründete die Zeitschrift «Mare», schrieb erste Bücher. Würde heute dies oder jenes anders schreiben. All das klingt leicht, allerdings: Für die Flüge nach Zürich zur Universität ging sie putzen.

«Die Marschallin» ist eine komplexe Frau, «die Widerworte nicht duldete, sie aber provozierte», war Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens, hatte fünf Pässe, mochte am liebsten den jugoslawischen. Enkelin Zora nähert sich ihr mit Recherche und dem Verständnis, dass es nicht um Journalismus geht. Sondern um Familie – Fiktionalisierung kann da auch schützen. Vielleicht ist der Preis, dass deshalb die Farben im Text wechseln: Mal drängt sich ein Referat auf, dann fliesst er literarisch freier. Dabei sind die Werturteile der Grossmutter und anderer Personen kräftig, nicht selten schimmert auch die auktoriale Autorin durch, bleibt in vermeintlich subjektiven Erzählperspektiven sichtbar. In Berlin erschrickt Zora del Buono, ganz und gar sympathisches Nachdenken, «vielleicht bin ich selbst so».

Sie wollte, erzählt die Enkelin, einer alten Familienerzählung nachgehen, in der ihr Grossvater als Arzt dem jugoslawischen Präsidenten Tito – dem Heros der slowenischstämmigen Grossmutter – das Leben rettete. Sie fand heraus: Der Grossvater untersuchte Tito, wurde nach Moskau eingeflogen, sass bei Stalin, fürchtete dort um sein Leben. Tito hingegen konnte er nicht mehr als gute Gesundheit attestieren: zu wenig für einen Roman. Beim Nachfassen öffnete sich aber eine andere Tür, diejenige zum Geheimnis, von dem Tante Mila raunte.

«Kommunismus ist Aristokratie für alle», den Satz des radikalen spanischen Autors Ramón Maria del Valle-Inclán legt die Enkelin der Grossmutter in den Mund, Mitgliedschaft bei den KommunistInnen vereinte sie mit grossbürgerlichem Lebensstil: ausschweifende Empfänge, Personal, horrende Ausgaben. «Eine Art Polittheater», vermutet del Buono. Zur romantischen Vorstellung von Kommunismus gehörte auch Partisanenkampf gegen Mussolini, und hier fand die Enkelin eine andere Geschichte, eine, «die psychologisch deutlich reizvoller war».

Scham, Ruin, Vertreibung

Der erste Teil des Romans spielt von 1919 bis 1948 – als noch die traumatischen Schlachten im slowenisch-italienischen Isonzotal nachwirkten, bis zum Ende dessen, was HistorikerInnen «die Wiederherstellung der Demokratie in Italien» nennen. Der zweite Teil ist ein langer Monolog im Februar 1980, ein Rückblick von Grossmutter Zora aufs Familienunglück aus einem Altersheim in Nova Gorica. Jetzt lösen sich die Hinweise des Prologs auf – als Implosion aller Werte: Enkelin Zora hat entlang der Familiengeschichte einen misslungenen Banküberfall durch einen Kader der Kommunistischen Partei Italiens ausgegraben. Ihm kommen Angestellte in die Quere, er erschiesst sie mit der Waffe der Grossmutter, die Polizei verhaftet Unschuldige, die Familie der Unschuldigen zerbricht, eine junge Frau begeht Suizid.

Kolossales Unrecht also, Scham, Ruin und Vertreibung, eine Prüfung für die possierliche Vorstellung der «freudvollen, egalitären, kommunistischen Gesellschaft». Darin erscheint die Marschallin als Zeitbild einer Generation, in der hehres Ethos viel mit Abenteuerfantasie zu tun haben konnte, persönliches Verhalten kaum gegen politische Moral gerechnet wurde. Zwar schmiss 1948 die KPI die Del Buonos hinaus, der Mörder war zur einflussreichen Figur aufgestiegen und schielte auf das von der Grossmutter entworfene Haus in Bari. Noch im Altersheim aber hält die Marschallin an der Loyalität zu Tito fest.

An den Literaturtagen tritt die Autorin am Freitag, 14. Mai 2021, um 18 Uhr und am Samstag, 15. Mai 2021, um 10 Uhr und um 17 Uhr auf.

Zora del Buono: Die Marschallin. Roman. Verlag C. H. Beck. München 2020. 382 Seiten. 37 Franken