Durch den Monat mit Tillie KottmanN (Teil 2): Haben Sie schon einen Anwalt?

Nr. 19 –

Seit die USA kürzlich ein Strafverfahren gegen sie eröffnet haben, gilt Tillie Kottmann als berühmteste Hackerin der Schweiz. Als Aktivistin habe sie die Reaktion der USA aber nicht überrascht, sagt die Luzernerin.

Tillie Kottmann: «Es läuft bereits eine Geldsammelkampagne für mich. Das Geld geht direkt auf das Konto meines Verteidigers.»

WOZ: Die Polizei habe bei der Hausdurchsuchung in Ihrer Wohnung auch Ihren Pass mitgenommen, erzählten Sie letzte Woche. Haben Sie ihn inzwischen wieder?
Tillie Kottmann: Nein. Aber ich brauche ihn auch nicht. Reisen ist ja jetzt für mich grundsätzlich ausgeschlossen. Deshalb wüsste ich nicht, was ich mit dem Pass anfangen sollte.

Was bedeutet das für Sie?
Ich habe schon länger gewusst, dass ich Europa in nächster Zeit nicht mehr verlassen sollte. Anfang Jahr war ich noch in Deutschland. Es war mir bewusst, dass eine solche Reise aufgrund des Rechtshilfegesuchs wahrscheinlich ein recht hohes Risiko barg, weil ich ahnte, dass im Hintergrund schon etwas lief. Es hätte gut sein können, dass ich im Ausland festgenommen und an die USA ausgeliefert worden wäre. Damals war es hypothetisch – jetzt ist es sehr realistisch.

Das heisst, Sie werden in den nächsten Jahren die Schweiz nicht verlassen können.
Es gibt noch einige wenige Länder, die mich nicht ausliefern würden, wie zum Beispiel Russland oder China. Und in den Iran könnte ich vielleicht auch noch. Aber sichere Orte wären das dennoch nicht. Grundsätzlich bin ich also mal bis auf Weiteres in der Schweiz. Es gibt schlimmere Orte, um festzustecken.

Finden Sie es nicht beklemmend?
Mich persönlich stört es nicht gross. Ich war darauf vorbereitet. Ich finde es aber krass, dass Staaten überhaupt diese Macht haben: Wenn sie eine Person nicht mögen, können sie diese über Interpol zur Fahndung ausschreiben. Danach kannst du einfach nicht mehr reisen. Und je nachdem, welche Staatsangehörigkeit du hast, liefert dich deine Regierung trotzdem aus. Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, die eigene Staatsangehörige nicht ausliefern. Das ist ein extremes Privileg, das wir hier geniessen.

War die Hausdurchsuchung irgendwie angekündigt?
Nein, so etwas wird nicht angekündigt. Um diesen Fall zu verstehen, ist wichtig zu wissen: Die Hausdurchsuchung wurde aufgrund eines US-Rechtshilfegesuchs gemacht und nicht aufgrund eines Schweizer Falls. Deshalb wurde sie nach einem Mix von Schweizer und US-Recht durchgeführt. Die juristische Grundlage war ein «sealed indictment», eine versiegelte Anklage – da ist alles geheim. Bei solchen «sealed»-Verfahren melden sich die Untersuchungsbehörden grundsätzlich nicht vorher, und wenn, dann nur undercover. Ich kann nicht sagen, ob ich schon mit FBI-Agenten gesprochen habe oder nicht. Sehr wahrscheinlich schon (lacht).

Dann hat es Sie doch überrascht, als die Luzerner Polizei an Ihre Tür klopfte?
Nicht wirklich. Ich hatte schon länger das Gefühl, irgendwann würde etwas passieren. Es hat sich immer mehr zugespitzt. Mir war klar, dass ich nicht immer so würde weitermachen können.

War das nach dem Intel-Hack im vergangenen August, nachdem Sie eine grosse Menge sensibler Daten des Chipherstellers veröffentlicht hatten?
Das war nicht nur der Intel-Hack. Ich hatte ja schon seit längerem gehackte sensible Daten veröffentlicht. Als Aktivistin war mir immer bewusst: Das, was ich tue, kann Konsequenzen haben, weil es nicht hundertprozentig legal ist. Aber darum geht es im Aktivismus: Dass man auch bereit ist, die Konsequenzen auf sich zu nehmen. Was ethisch oder moralisch richtig ist, ist nicht zwingend legal. Aber man muss ein Signal setzen.

Sie haben also nicht erwartet, ungestraft davonzukommen?
Nein. In den Kommentarspalten unter den Artikeln, die jüngst über mich erschienen sind, wird mir das oft vorgeworfen: «Was hat die denn erwartet? Dass sie damit durchkommt?» Nein, habe ich nicht! Das ist ein fundamentales Missverständnis von Aktivismus. Ein Aktivismus, der nicht challengt, ist kein Aktivismus. Damit erreicht man nichts … oder nicht viel. Wenn AktivistInnen sich vor Gericht verantworten müssen und Geld sammeln, um die Gerichtskosten zu bezahlen, kommt oft das Argument: Warum wollen die jetzt Geld? Was haben die denn erwartet? Dieses Missverständnis finde ich traurig. Es geht doch darum, dass diese Personen für etwas Gutes gekämpft haben und jetzt einen fairen Prozess bekommen sollen. Dafür braucht es Geld.

Sie benötigen in den USA eine gute Verteidigung. Sonst drohen Ihnen dort viele Jahre Haft. Haben Sie schon jemanden?
Ja, Stanley Cohen. Der vertritt vor allem politische Fälle und hatte einige prominente Klienten.

Ist er teuer?
Schon eher.

Läuft bereits eine Geldsammelkampagne für Ihre Verteidigung?
Ja. In den USA muss man – anders als bei uns – meistens eine Vorauszahlung leisten. Wie viel bereits zusammengekommen ist, weiss ich nicht genau. Das Geld geht direkt aufs Konto des Anwalts.

Tillie Kottmann (21) trägt gerne Pink und findet es unangenehm, wie manche Medien übers Queersein schreiben.