Kino-Film «Ammonite»: Landschaften des Begehrens

Nr. 20 –

Dorset im 19. Jahrhundert. Jeden Tag sucht die Paläontologin Mary Anning (Kate Winslet) die Felsen der wilden Küstenstriche nach Ammoniten – fossilisierten Urzeitlebewesen – ab. Einige ihrer Funde sind im British Museum in London ausgestellt, aber unter falschem Namen – die Wissenschaft ist, aller Evidenz zum Trotz, damals noch ein fast ausschliesslich männliches Unterfangen. Zusammen mit ihrer kränklichen Mutter (Gemma Jones) lebt Mary davon, dass sie kleine Fundstücke kitschig zu Dekorationszwecken umgestaltet und an TouristInnen verkauft. Ihr Leben nimmt erst eine Wendung, als ein Verehrer ihrer Arbeit mit seiner melancholischen Gattin (Saoirse Ronan) in der kleinen Küstenstadt aufkreuzt.

Wer Francis Lees grossartigen Erstling «God’s Own Country» (2017) gesehen hat, erkennt in «Ammonite» sofort dessen Handschrift wieder. Spielte das Drama um zwei schwule Schafbauern noch in den nebligen Yorkshire-Hügeln, ist es jetzt die ähnlich unwirtliche, windgegerbte Südwestküste Englands, die die rohe Emotionalität der Handlung spiegelt, metaphorisiert oder einfach trägt. Ähnlich wie bei den Fossilien, die mit feinen und groben Werkzeugen mühselig aus dem Stein «befreit» werden müssen, ist das Vordringen zu den Emotionen der Figuren hier beschwerliche, aber lohnende Arbeit. Nicht zuletzt den beiden Schauspielerinnen ist es zu verdanken, dass der Ausbruch der Leidenschaft, wenn er dann endlich explosionsartig stattfindet, weder aufgesetzt noch so klischiert wirkt, wie es die reine Plotbeschreibung vermuten lassen mag. Vom austauschbaren «lesbian period drama», wie es kürzlich in «Saturday Night Live» parodiert wurde, ist «Ammonite» jedenfalls weit entfernt.

An die emotionale Wucht von «God’s Own Country» oder auch von «Portrait de la jeune fille en feu» reicht der Film wohl nicht ganz heran; doch das Zusammenspiel aller Elemente – Francis Lees unmittelbare Inszenierung, die organischen Bilder von Stéphane Fontaine, Kate Winslet in einer ihrer besten Rollen – lässt ein berührendes Dokument von Begehren als Naturschauspiel entstehen, inmitten von Felsen und Wasser, Schlamm und Haut.

Ammonite. Regie und Drehbuch: Francis Lee. Grossbritannien/Australien/USA 2020