Auf allen Kanälen: Aufschliessen, bitte!

Nr. 22 –

Mit einer «Lex Netflix» beabsichtigt der Bund, die grossen Streamingdienste endlich in die Pflicht zu nehmen. Doch bürgerliche Kräfte wollen das Vorhaben aushöhlen.

Der Aufschrei klang wie aus einem Horrorfilm, und das Ungeheuer darin hiess: «Subventionsmonster». So nannte André Moesch, Präsident des Verbands der Schweizer Regional- und Privatfernsehsender, den Entwurf des Bundes für das neue Filmgesetz. Dieses soll dafür sorgen, dass auch Streamingdienste einen bestimmten Prozentsatz ihres in der Schweiz erzielten Umsatzes in die hiesige Filmbranche investieren müssen. Das zielt vor allem auf internationale Streamingriesen wie Netflix, Amazon oder Disney+, deshalb kursiert der Paragraf auch unter dem Übernamen «Lex Netflix».

Für die Schweizer Privatsender wäre das neue Filmgesetz ruinös, klagte nun eben André Moesch im April in einem Gastkommentar für Tamedia. Nur: Diese müssen schon jetzt vier Prozent ihrer Bruttoeinnahmen ins Schweizer Filmschaffen investieren. Von der geplanten Ausweitung dieser Investitionspflicht wären dagegen in erster Linie die Werbefenster ausländischer TV-Sender betroffen, ausserdem hiesige Netzanbieter wie Swisscom und UPC Cablecom – weshalb die Branche kräftig gegen das Gesetz lobbyiert.

Etwas kurios war auch das Timing von Moeschs Aufschrei. Wenige Tage zuvor hatte nämlich sein Vorgesetzter bei CH Media, Roger Elsener, auf dem Onlineportal «Persönlich» erklärt, wieso der Medienkonzern jetzt mit einer eigenen Plattform auch ins Streamingbusiness einsteigen will: «Der Markt wächst, und hier wollen wir mitmachen.» Ja, was denn nun? Streaming ist das Eldorado der Stunde – aber bei vier Prozent Investitionspflicht in die einheimische Filmwirtschaft droht gleich der Ruin?

Profite ins Ausland

Im Parlament hatte das Klagelied schon vorher Wirkung gezeigt: Einer bürgerlichen Minderheit um Philipp Kutter (Die Mitte) und Christian Wasserfallen (FDP) war es im Nationalrat gelungen, die Investitionspflicht auf ein Prozent zu drücken. Man gab sich konsumentenschützerisch: Netflix und Co. würden ihre Einbussen einfach über die Abopreise kompensieren, also sei das Ganze letztlich eine verdeckte Kultursteuer, die von den NutzerInnen bezahlt würde. Was die Wortführer nicht sagten: Wenn die Abopreise von Plattformen wie Netflix oder auch Amazon so attraktiv sind, dann lag das bislang nicht zuletzt an deren notorischen Steuervermeidungsstrategien. Wer die «Lex Netflix» torpediert, dient also in erster Linie ausländischen Konzernen, die ihre Profite lieber anderswo versteuern, wo es billiger kommt.

Immerhin: Der Ständerat hat jetzt die Chance, das zu korrigieren. Die vorbereitende Kommission empfiehlt dem Rat, die Investitionspflicht wieder bei vier Prozent anzusetzen – und kommt gleichzeitig den Privatsendern entgegen, die dafür wie bis anhin auch Werbeauslagen für Schweizer Filme anrechnen dürfen. Sollte der Ständerat dem Vorschlag seiner Kommission folgen, müsste der Nationalrat nochmals darüber beraten.

Im Vergleich moderat

Dabei wäre es höchste Zeit, endlich aufzuschliessen. Und im europäischen Vergleich sind die Pläne des Bundesrats für eine «Lex Netflix» ganz moderat. Gemäss dem Bundesamt für Kultur gilt etwa in Dänemark für Streamingplattformen eine Investitionspflicht von zwei Prozent, in Spanien sind es fünf Prozent, in Italien gar deren zehn – und im traditionell sehr protektionistischen Frankreich liegt sie für Streamingdienste mit Abomodell bei 25 Prozent. In Deutschland ist der Ansatz zwar niedriger, doch die 2,5 Prozent, die die umsatzstärksten Plattformen zu entrichten haben, können dort nicht frei investiert werden, sondern gehen als Abgabe direkt in die Filmförderung.

Eine Investitionspflicht von einem Prozent, wie das der marktliberalen Fraktion vorschwebt: Das wäre im internationalen Vergleich tatsächlich grotesk. Attraktiv wärs freilich für die sonst angeblich bedrohten Schweizer Privatsender wie 3+, der zu CH Media gehört. Diese müssten dann plötzlich auch nur noch ein Prozent ihres Umsatzes in die hiesige Filmbranche investieren statt wie bisher vier Prozent. CH Media gehört bekanntlich zu jenen Grossverlagen, die an anderer Front neunzig Millionen Franken mehr vom Bund fordern – für die indirekte Medienförderung über die Frühzustellung. Hat da jemand «Subventionsmonster» gesagt?