Globale Mindeststeuer: Die Trickser machen auf Panik

Nr. 23 –

Manche Dinge lassen sich Zeit. Das internationale Steuersystem hat sich seit den 1920er Jahren kaum verändert. Hundert Jahre später wird es nun neu gedacht. Eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent soll es geben, finden die Staaten der G7, findet auch die OECD. Dazu sollen Firmen ihre Profite künftig zumindest teilweise dort versteuern, wo sie ihre Dienste und Produkte verkaufen. Klar kommt es jetzt noch auf die Details an, klar gibt es gegen die Pläne Widerstand und klar gibt es Lücken, etwa für die Finanzbranche und den Rohstoffhandel. Doch was im Herbst vor allem auf Druck der USA verabschiedet werden wird, ist ein Epochenwechsel – für die Welt und für die Schweiz.

Jahrzehntelang haben globale Konzerne die Nationen gegeneinander ausgespielt, haben ihre Gewinne hin- und hergeschoben und in komplexen Geflechten verschwinden lassen, sodass für Staat und Gesellschaft nicht viel übrig blieb. Der Onlinehändler Amazon etwa bezahlte dank einer Tochter in Luxemburg auf seine europäischen Gewinne zuletzt eher wenig – nämlich gar nichts. Das hört bald auf.

Nicht begriffen hat diese Zeitenwende die Schweiz. Seit die OECD 2013 ihr Projekt gegen die Steuererosion lanciert hat, brütet das Land darüber, wie es die neuen Regeln umgehen kann. Die Reform wird als Angriff aufs Schweizer Erfolgsgeheimnis betrachtet. Die politische Antwort sollen einmal mehr findige SteuerrechtsexpertInnen liefern. Das Finanzdepartement tüftelt an neuen Steuersparmodellen. Der Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker will den Konzernen die Schwerverkehrsabgabe erlassen. Und der Konzernverband Swiss Holdings hat eine «eindrückliche Liste» mit neuen Tricks nach Bern geschickt. Einer davon: Der Staat solle hochprofitablen Konzernen die Löhne subventionieren. Wie pervers kann das Geschäftsmodell Schweiz noch werden?

Sachlich begründet ist die Aufregung nicht. Steuerdiebstahl wird nicht mehr gehen, und eine Verlegung von Firmensitzen aus steuerlichen Gründen wäre sinnwidrig. Als Ausweichstandort bliebe bloss noch der Mars. Der Effekt der Reform auf die Schweizer Wirtschaft und die Staatsfinanzen wird entsprechend als gering eingestuft. Finanzminister Ueli Maurer rechnet in einer internen Analyse mit jährlichen Steuerverlusten in einem tiefen dreistelligen Millionenbereich, also von vielleicht 200 Millionen Franken. «Das sind Steuerausfälle, die bürgerliche Politiker an einem einzigen Tag beschliessen», kommentiert die grüne Wirtschaftspolitikerin Regula Rytz. Dazu hat Maurer eine Umfrage bei betroffenen Konzernen gemacht. Fazit: durchaus auch Zuspruch. Unternehmen, die ihre Steuern fair bezahlen, haben endlich keinen Nachteil mehr gegenüber kreativen Konkurrenten. Worum geht es also wirklich?

Im Parlament stehen gleich mehrere Steuerrunden an. Erster Streich ist die Abschaffung der Stempelsteuer, prognostizierte Ausfälle: zwei Milliarden Franken pro Jahr. Die SP hat dagegen das Referendum angekündigt. Weitere Geschenke an die Firmen will das bürgerliche Parlament in den kommenden Monaten, schön portioniert, verteilen. Da hilft die Erzählung vom bedrohten Standort.

Die nützt auch, wenn in den kommenden Jahren die desolate Finanzlage der Kantone durchdrückt. Die letzte Unternehmenssteuerreform «Staf» höhlt die Staatsfinanzen aus. Die Kantone, das zeigen neuste Zahlen, verloren dadurch fast fünfzehn Prozent ihrer Steuererträge von juristischen Personen. Dabei waren dynamische Effekte versprochen worden, frisches Kapital aufgrund gestiegener Standortattraktivität. Steuererhöhungen planen gleichwohl die wenigsten Kantone. Zu gross ist die Angst, im inländischen Wettbewerb ins Hintertreffen zu geraten.

Die globale Mindeststeuer könnte auch hier zu einem Paradigmenwechsel führen, das Race to the Bottom, das stete Nivellieren der Abgaben auf immer tieferem Niveau, ein Ende finden. Dagegen kämpfen die Wirtschaftsverbände und ihre politischen HelferInnen. Damit der grosse Steuerbetrug weiterhin stattfinden kann. Ein bisschen weniger im Ausland, dafür umso mehr in der Schweiz.