Extinction Rebellion: Bis die Forderungen erfüllt sind
Ab nächster Woche will die Klimaprotestbewegung Extinction Rebellion Zürcher Strassen blockieren. In England führte das zu Polizeigewalt und Haftstrafen.
«Die Rebellion gegen das Aussterben beginnt am 3. Oktober.» Mit dieser Ansage mobilisiert die Klimaprotestbewegung Extinction Rebellion (XR) für ihren «Plan»: Ab nächster Woche sollen möglichst viele Menschen Zürcher Strassen blockieren und damit auf die Klimakatastrophe aufmerksam machen. Ungehorsam sei «unser Recht sowie unsere Pflicht», verkündet der offizielle Telegram-Kanal.
Den Plan gibt es bereits seit Ende Juni. Nach dem Nein gegen das CO2-Gesetz schickte XR dem Bundesrat einen Brief mit Forderungen: den «klimatischen und ökologischen Notstand» ausrufen, bis 2025 die Treibhausgasemissionen auf netto null senken sowie Bürger:innenversammlungen einsetzen, die über die weiteren Schritte entscheiden (siehe WOZ Nr. 37/2021 ). Sollte der Bundesrat innert drei Monaten nicht «adäquat auf diesen Aufruf reagieren», werde man Zürich blockieren, «bis unsere Forderungen erfüllt sind». Gleichentags klebten sich fünf Aktivist:innen mit Sekundenkleber am Bundeshaus fest. 4297 Personen unterschrieben den Brief online.
Tradition des zivilen Ungehorsams
Der drohende Tonfall war bewusst gewählt, denn für XR sind alle traditionellen Kampagnen gescheitert. Ziviler Ungehorsam sei der einzige Weg, «um einen echten Wandel zu erreichen». Dabei setzen die Aktionen auf Störung und Aufmerksamkeit – eine Verhaftung wird nicht nur in Kauf genommen, sondern bewusst angestrebt. Wer bei der Aktion mitmachen will, vermerkt im Anmeldeformular auch, wie oft man sich festnehmen lassen will.
Am Sonntag, dem 3. Oktober, wird die selbsterklärte Rebellion mit Konzerten, Reden und Trainings eröffnet. Die Bewegung will ihre Aktivist:innen auf die kommenden Tage einstimmen und vorbereiten, denn ab Montag folgen Sitzstreiks auf den Strassen des Stadtzentrums. Wer sich auf die Strasse setzen will, soll «ein gutes Buch», warme Kleidung, Windeln und einen Stuhl oder eine Pflanze mitnehmen – «der Gemütlichkeit halber». In einem fünfminütigen Video erklären zwei Aktivist:innen das Vorgehen: Die Aktion sei friedlich, ruhig, diszipliniert und transparent. Polizei und Stadt wurden über die Pläne in Kenntnis gesetzt.
XR sieht sich dabei in der Tradition des zivilen Ungehorsams und der US-Bürgerrechtsbewegung. So werden auch die negativen Rückmeldungen auf die Methoden mit einem Verweis auf die Unpopularität von Martin Luther King zur Seite gewischt. Noch im Jahr seiner Ermordung hätten drei von vier Amerikaner:innen den Bürgerrechtler verurteilt, schreibt eine britische Aktivistin im «Independent».
Auch den Sitzstreik in Zürich versteht die Bewegung als gewaltfreien zivilen Ungehorsam. Für jene, die sich nicht früher oder später von einer Handvoll Polizist:innen abtransportieren lassen wollen, gibt es andere Rollen. Sie sollen Passant:innen aufklären und die Streikenden unterstützen. Die Aktivist:innen wollen dabei jeden Tag wiederkommen, bis die Forderungen erfüllt oder niemand mehr bereit sei, sich verhaften zu lassen.
«Angemessene» Gewalt
Die Schweizer XR-Bewegung orientiert sich dabei an ähnlichen Aktionen in Grossbritannien. Die dortigen Aktivist:innen hatten in den letzten Jahren immer wieder für Aufsehen gesorgt. Im April 2019 blockierten sie mehrere Strassen und Brücken in London. Menschen klebten sich an Zügen und Flugzeugen fest. Im September 2020 wurde während zehn Tagen in London, Manchester und Cardiff protestiert. Deutsche Aktivist:innen der dezentral organisierten Bewegung blockierten im August dieses Jahres Strassen in Berlin. Zur gleichen Zeit wurde die in London ansässige Finanzwirtschaft ins Visier genommen. XR ging mit Transparenten und kunstblutbeschmiert durch die Strassen, weil die Wirtschaft «auf Blutgeld aufgebaut ist». Sie forderten, alle Investitionen in fossile Brennstoffe sofort zu stoppen.
Doch die Repression gegen die «Öko-Radikalen» (NZZ) und «Öko-Fanatiker» («Telegraph», «Daily Mail») nimmt zu. So griff die Polizei bei den Protesten in London vor vier Wochen gewaltsam durch. Auf einem Video schlägt ein Polizist mit der Faust einen Aktivisten, der keinen Widerstand leistet. Die Londoner Polizei verteidigt sich: Die Gewalt sei «angemessen und verhältnismässig», weil die Aktivist:innen versuchten, den Verkehr auf einer der «meistbefahrenen Brücken Londons erheblich zu stören».
Auch die Gerichte sind tätig geworden. Fast 4000 Menschen wurden an den Protestaktionen in Grossbritannien verhaftet – etwa 1500 später verurteilt. Letzte Woche wurde erstmals eine Haftstrafe ausgesprochen: Der 56-jährige James Brown – zweifacher Goldmedaillengewinner im Bahnradfahren an den Paralympischen Spielen von 1984 – hatte sich im Oktober 2019 an ein Flugzeug von British Airways geklebt.
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte jüngst eine Aktivistin – trotz richterlicher Sympathie für das Anliegen – zu einer bedingten Geldstrafe. Die Neunzehnjährige blockierte im Juni 2020 für drei Stunden die Zürcher Quaibrücke. Mit welchem Aufgebot und welchem Vorgehen die Polizei der kommenden Aktion in Zürich begegnen will, wollte sie der WOZ nicht verraten.