Kunst: Wie es morgen nicht mehr sein wird

Nr. 42 –

Ruhiges Bild, schwarz-weiss; der Sonnenstand verändert sich, die Schatten wandern. In der Videoarbeit «Statics», die für die Ausstellung im Kunst Museum Winterthur produziert wurde, lässt uns Charlotte Prodger durch das Fenster eines Waggons blicken und über die Zeit reflektieren, die unaufhaltsam vergeht, während wir sie mit alltäglichen Handlungen zu vermessen versuchen. Und wir stellen uns vor, wie wir jeden Morgen in diesen Eisenbahnwagen steigen, die Landschaft an uns vorüberziehen lassen, das monotone Geräusch der Räder auf den Gleisen hören.

Doch bevor wir uns in Assoziationen verlieren, holt uns die britische Künstlerin wieder zurück, erzählt aus dem Off von ihrer früheren Arbeit im Pflegeheim. Sie war neunzehn Jahre alt, als sie sich in eine Mitarbeiterin verliebte, die in ihren späten Vierzigern war – so alt wie Prodger heute. Sie erinnert sich an die blaue Uniform, während sie sich damals fragte, wie sich die Angebetete wohl ausserhalb des Pflegeheims kleiden würde. Unweigerlich tauchen wir auch in diese Erzählung ein, stellen uns vor, wie sich diese jugendliche Liebe anfühlte, was die Lebensrealität der Heimbewohner:innen war, die Prodger ebenfalls erwähnt. Wie sie einige weckte, während andere bereits wach lagen; wie manche immer wussten, was sie anziehen wollten, und es anderen wiederum egal war.

Auch die nächste Szene wird zur Projektionsfläche unserer Vorstellungen. Wir fahren auf einem Motorboot über einen See – oder ist es das weite Meer? Prodger nahm diese Ansicht mit ihrem Smartphone auf, wie schon für die Videoarbeit «Bridgit», die 2018 mit dem Turner-Preis ausgezeichnet wurde. So wird die Verknüpfung zwischen Technologie und menschlichem Körper thematisiert, die auch in anderen Werken der Ausstellung spürbar wird: Das Smartphone lässt sich als Verlängerung des Körpers denken, es bewegt sich mit ihm, registriert seinen Atem, das Heben und Senken des Brustkorbs, die ruckeligen und ungenauen Bewegungen, die heute so sind, wie sie morgen nicht mehr sein werden.

Charlotte Prodger: «Blanks and Preforms». Bis am 14. November 2021 im Kunst Museum Winterthur: www.kmw.ch