«Und morgen seid ihr tot» : Was ist die wahre Geschichte?
Der «Blick» zählte sie zu den «dümmsten Geiseln der Welt». Der neue Spielfilm von Michael Steiner will diese mediale Häme über ein 2011 in Pakistan entführtes Schweizer Paar zurechtrücken.

Am 17. März 2012 landeten ein mittlerweile wieder glatt rasierter Mann und eine Frau in Jeans und schneeweissem Pullover am Flughafen Zürich Kloten. Daniela W. und David O. waren nach 259 entbehrungsreichen Tagen in Geiselhaft bei den Taliban in die Schweiz zurückgekehrt. Sie berichteten erleichtert, sie hätten «trotz den hohen Risiken einen Fluchtversuch» gewagt und sich so selbst befreit. Der «Blick» kommentierte die Heimkehr schnippisch: «Schön, dass sie lachen. Aber wer zahlt das Lösegeld?» Auch jenseits des Boulevards wurden Zweifel an der Selbstbefreiung laut. Man spekulierte, es sei sicher Geld geflossen – und die Entführer hätten die beiden daraufhin einfach laufen lassen. Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten verneinte eine solche Lösegeldzahlung und unterstützte die Fluchtgeschichte.
Schon ein Jahr später trugen die Exgeiseln ihre Version in Buchform auf den Markt, süffig aufbereitet von einem routinierten Ghostwriter. Auf dieses Buch stützt sich nun der Film «Und morgen seid ihr tot» und kontert so – gut zehn Jahre nach der Entführung – die damalige mediale Häme und Kritik nochmals mit der subjektiven Geschichte der beiden Geiseln. An der Arbeit der direkt nach der Entführung eingesetzten Taskforce lassen Regisseur Michael Steiner («Wolkenbruch») und sein Drehbuchautor Urs Bühler kaum ein gutes Haar. Ihre Beamten scheinen direkt aus Rolf Lyssys Film «Die Schweizermacher» entlaufen: bedächtig, sträflich unfähig, aus der Zeit gefallen.
Für eine Handvoll Mangos?
Nebst ein paar Szenen mit dieser Taskforce und mit den Eltern der beiden bleibt «Und morgen seid ihr tot» konsequent in der Wahrnehmung und der Weltsicht der Geiseln gefangen. Zu Beginn des Films machen sich die Weltenbummler:innen mit ihrem VW-Bus entlang der alten Seidenstrasse auf die Heimreise. Eine Zeitung mit der Meldung von der Ermordung Usama Bin Ladens fesselt ihre Aufmerksamkeit kurz, landet dann im Hotelpool. Alles ganz unbeschwert, auch die Entscheidung, durch einen von Tourist:innen kaum besuchten Teil Pakistans zurückzufahren. Andere Reisende erzählen von einer speziellen Mangosorte, die es dort gebe – und versichern, die Passage durch die als gefährlich geltende Gegend sei problemlos.
Der Film beschönigt die Naivität der beiden nicht – und verzichtet später auch weitgehend auf eine Dämonisierung der Geiselnehmer. Zuerst sind das Kriminelle, die das von Morgane Ferru und Sven Schelker gespielte Paar mit vorgehaltener Waffe von der Strasse wegzerren. Nach einer abenteuerlichen Wanderung übers Gebirge wird das Paar an die Taliban weiterverkauft. Mehrfach müssen sie ihren Aufenthaltsort wechseln, erfahren Todesangst, eine lebensbedrohliche Malariaerkrankung. In den Verhandlungen mit den Entführern gibt es kaum Fortschritte.
«Und morgen seid ihr tot» erzählt das einfühlsam. Doch spätestens wenn die ersten US-Drohnen über das streng bewachte «Gefängnis» der Schweizer Geiseln surren, wird die Reduktion der Perspektive zum Problem. Wir bekommen wenig Kontext. Zu wenig. Geiselnahmen sind hochpolitische Manöver – und die Erzählungen dieser Geiselnahmen sind es ebenso. Immerhin angedeutet wird, dass Entführungen in dieser bitterarmen, von Krieg und Hoffnungslosigkeit zerrütteten Weltregion schlicht als Einnahmequellen dienen. Die Taliban bezahlen für die Bewachung in privaten Unterkünften, da lassen sich Geld und Essen abzweigen. Machtpolitisch betrachtet, sind Geiselnahmen zudem seit jeher primitive Hebelarme im Gefüge der Weltmächtigen, effizientes Powerplay der Abgehängten; oft sind US-Amerikaner:innen betroffen.
Fehlende Mehrschichtigkeit
Entführt werden Einzelpersonen, erpresst werden ganze Nationen, die entsprechend Anteil nehmen: Sie leiden kollektiv mit oder regen sich über die Geiseln auf, deren Fahrlässigkeit sehr viel Geld verschlingt, sogar ohne von offizieller Seite stets verneinte Lösegeldzahlungen. Derlei Überlegungen kommen in «Und morgen seid ihr tot» höchstens am Rand vor. Erst nach einer packend inszenierten halsbrecherischen Flucht, die hier als einsame Heldentat von zwei Verzweifelten geschildert wird, blitzt kurz die Folie auf, gegen die der Film sich massgeblich absetzen will, wie Steiner auch in Interviews erklärt: die Häme der Schweizer Presse und Öffentlichkeit, die vor allem nach Erscheinen des Buchs der beiden heftig aufflammte.
«Die dümmsten Geiseln der Welt» titelte der Blick, «Sorry, wir haben kein Mitleid» der «Tages-Anzeiger». Doch ausser kurz eingeblendeten Schlagzeilen bleibt dieser entscheidende Auslöser für den Film ausgespart. Warum? Wenn die Medien derart danebenlagen und nun in Spielfilmlänge widerlegt werden müssen, sollte ihre Rolle auch angemessen thematisiert werden.
Sowieso erstaunt, warum ausgerechnet Michael Steiner, der in «Grounding» das Ende der Swissair derart aufschlussreich perspektivisch aufgefächert hat, in seinem neuen Film auf diese Mehrschichtigkeit verzichtet. Hätte er die nicht sehr aussagekräftige, jedenfalls notgedrungen arg beschränkte Sichtweise der Schweizer Geiseln aufgesprengt, wäre sein Film nicht nur dichter und aufregender herausgekommen, sondern vor allem relevanter: ein menschliches Drama, klar, aber eben auch ein eminent politisches.
«Und morgen seid ihr tot» läuft jetzt im Kino.
Und morgen seid ihr tot. Regie: Michael Steiner. Schweiz/Deutschland 2021