Stadtplanung: Die Tücken der 15-Minuten-Stadt

Nr. 47 –

Kommendes Wochenende stimmt die Stadt Zürich über den «Richtplan zur Siedlungsentwicklung» ab. In Aussicht stehen lebendige Quartiere, prächtige Alleen und viel Grün. Aber zu welchem Preis?

Steigende Mieten für Wohnungen in Zentrumsnähe: Sihlfeldstrasse am Brupbacherplatz im Zürcher Kreis 3.

Fast wie die Champs-Élysées. Dabei ist es ja nur die Sihlfeldstrasse im einstigen Arbeiter:innenviertel, die auf all den Fotos erstrahlt. Und wenn schon Pathos: Ist der Platz vor dem Opernhaus nicht gar noch grösser als die Piazza San Marco in Venedig?

Zürich macht sich parat für die Zukunft. Man will ja Weltstadt sein. Ausgehend davon, dass die Zahl der Einwohner:innen bis 2040 auf über eine halbe Million wachsen soll, kommt der kommunale Richtplan zur Siedlungsentwicklung gerade recht. Dieser konkretisiert die kantonalen und regionalen Richtpläne, spezifiziert zur Verdichtung geeignete Gebiete, bezeichnet Flächen für öffentliche Freiräume, Bauten und Anlagen und liefert Eckdaten für eine umwelt- und sozialverträgliche Stadtentwicklung. Am kommenden Wochenende wird über die Vorlage abgestimmt.

Mit der Bevölkerungszunahme, so die Stadt, wachse auch die Bedeutung von «Identität stiftenden, lebendigen und gut erreichbaren Quartierzentren». «15-Minuten-Stadt» lautet der Slogan. Künftig sollen 49 Quartierzentren durch «attraktiv gestaltete» Achsen miteinander verbunden, die Qualität und Erreichbarkeit bestehender Freiräume verbessert sowie neue geschaffen werden. Am meisten verdichtet werden soll im Westen (Altstetten, Albisrieden, Sihlfeld) und im Norden (Oerlikon, Seebach, Schwamendingen, Affoltern). Auch weitere Baureserven zusätzlich zur bestehenden Bau- und Zonenordnung (BZO) sind geplant. Und die Stadt soll grüner werden – wozu der Verkehrsrichtplan dienen soll, der ebenfalls zur Abstimmung kommt.

Erbe des Neoliberalismus

Der Haken dabei: Der Richtplan ist nur für Behörden verbindlich – nicht für Private, denen der überwiegende Teil des Siedlungsgebiets gehört. Was FDP und SVP nicht davon abhielt, diktatorische Schreckgespenster an die Wände zu plakatieren. «Nein zum extremen Monsterplan! Soll unser Leben auf einen Radius von wenigen Minuten fokussiert werden?», hechelte die FDP. Und als die SP die Idee einbrachte, Innenhöfe und Dachterrassen öffentlich zugänglich zu machen, halluzinierte der Freisinn sogleich Obdachlose auf den Dächern. Derweil die SVP «mit Blick auf die ungebremste Zuwanderung» maulte: «Wollen wir eine Stadt wie zu DDR-Zeiten?»

Kritik kommt aber auch von links: «Mit dem Richtplan wird den Investoren das Fleisch durch den Mund gezogen, ohne dass es griffige Massnahmen für den Erhalt und die Schaffung von preisgünstigem Wohnraum gäbe», sagt Walter Angst, Gemeinderat der Alternativen Liste (AL). Das Grundproblem dabei sei «das Erbe der neoliberalen Phase des rot-grünen Zürichs», als man den Grundeigentümer:innen durch Aufzonungen grosse Ausnützungsreserven gab. Die Folge: Siedlungen wurden abgerissen und durch mehr, grössere und massiv teurere Wohnungen ersetzt.

Verschärft wird das Problem durch das Instrument der Arealüberbauung, die grossen Grundeigentümer:innen noch mehr Ausnützungsreserven (Geschossfläche pro Grundstücksfläche) zugesteht, ohne dass dazu eine öffentliche Diskussion stattfindet. In diesem Setting, so Angst, «müssen Private keinen Beitrag leisten: keine Flächen für Pärke, bezahlbare Alterswohnungen oder Schulhäuser. Das produziert Nutzungskonflikte auf den immer knapper werdenden öffentlichen Flächen.»

Weniger Fläche pro Person

Und warum sagt die AL trotzdem Ja?: «Weil erst indem überhaupt ein Richtplan vorliegt, die Möglichkeit besteht, frühzeitig Einfluss auf Planungsentscheide der Exekutive zu nehmen», antwortet Angst. Zentral dabei wäre, Verdichtungsgebiete mit einer Gestaltungsplanpflicht zu belegen. «Nur so können öffentliche Interessen an mehr Grünraum, preisgünstigen Wohnungen oder Sportanlagen in die Planung integriert werden.» Ginge es nach Angst, müssten renditeorientierten Eigentümer:innen zudem Beiträge fürs Gemeinwohl abverlangt werden: «Wenn Grundeigentümer einen Gestaltungsplan vorlegen müssen, können mit den seit kurzem bestehenden Instrumenten der Mehrwertabgabe und der Mindestanteile an preisgünstigen Wohnungen gute Lösungen gefunden werden.»

Und was ist mit dem Versprechen, dass jede:r Bewohner:in innert fünfzehn Minuten alle für den Alltag wichtigen Orte zu Fuss oder per Velo erreichen könne? Auch da ist Skepsis angebracht, zumal ein verflixter Mechanismus ins Spiel kommt: Mieten für Wohnungen steigen vermehrt, je näher sich diese an einem Zentrum befinden, je beruhigter Strassen und beliebter umliegende Plätze sind – sodass vor allem reichere Leute in diese Zonen ziehen und so auch die viel beschworene Durchmischung und «Lebendigkeit» verloren geht.

Was also wären die Massnahmen, die eine Aufwertung ohne Verdrängung ermöglichten? Genügen dazu – wie es die Stadt vorsieht – ein «sozialräumliches Monitoring» und eine Beratungsstelle für Mieter:innen? Solange nicht einmal ein Drittel der Wohnungen gemeinnützig ist, braucht es wohl den langen Atem von Stadtteilbewegungen. Und noch etwas wäre zu bedenken: Schnell abreissen und neu auftürmen ist nicht sehr klimapositiv. Wie wäre es dafür mit einem etwas tieferen Wohnflächenverbrauch pro Person? Sodass sich mehr Menschen ein charmantes Leben in der 15-Minuten-Weltstadt leisten könnten – ohne dass so viel mehr gebaut werden müsste?