Durch den Monat mit Manuela Schiller (Teil 2): Ist noch Platz in der Stadt Zürich?
Manuela Schiller findet es problematisch, wie und in welchem Umfang in der rot-grün regierten Stadt Zürich für die eigene Klientel verdichtet wird. Sie spricht über Verdrängungsprozesse und die zunehmende Marktfähigkeit von Wohngemeinschaften.

WOZ: Manuela Schiller, der Zürcher Stadtrat Richard Wolff hat bekannt gegeben, dass er im Fall einer Wiederwahl Polizeivorsteher bleiben wolle. Es erstaunt viele, dass er als AL-Mitglied und Bewegter der achtziger Jahre ausgerechnet bei der Polizei bleiben möchte.
Manuela Schiller: Es kommt doch im Grunde gar nicht so sehr darauf an, welches Amt Richi Wolff bekleidet. Wäre er beispielsweise für die Stadtentwicklung zuständig, hätte er unter Umständen mehr Schwierigkeiten, obwohl er dafür wegen seines Berufs als Stadtforscher ja eigentlich sehr qualifiziert ist. So müsste er beispielsweise die neue Bau- und Zonenordnung, die BZO, verteidigen, was ihm ebenfalls Bauchweh bereiten könnte.
Was besagt die neue BZO?
Der gegenwärtige Entwurf verzichtet bewusst auf allgemeine Aufzonungen, die höheres Bauen erlauben. Um- und Aufzonungen sollen vielmehr nur in Einzelbeschlüssen möglich sein, wenn Gegenleistungen durch die Grundeigentümer erfolgen. So sieht die neue BZO vor, dass bei Auf- und Umzonungen, die eine höhere Ausnutzung ermöglichen, Mindestanteile an preisgünstigem Wohnraum festgesetzt werden können, was ich durchaus begrüsse.
Und worin besteht nun Ihre Kritik?
In der BZO finden sich praktisch keine klaren Aussagen darüber, wo mehr Nutzung über Verdichtung gewünscht ist und wo nicht. Dem Stadtrat fehlte offenbar der Mut, einen Diskussionsprozess mit der Bevölkerung zu führen und einen kommunalen Siedlungsplan mit der Bezeichnung von Verdichtungszielen und Schwerpunktgebieten für die bauliche Verdichtung zu verabschieden. Zudem fehlen Aussagen dazu, wie die angestrebte Verdichtung – von Privaten, aber gerade auch von gemeinnützigen Bauträgern – sozialverträglich gestaltet werden soll.
Was verstehen Sie unter sozialverträglicher Verdichtung? Es gibt ja auch Stimmen, die sagen, dass es in Zürich schlicht keinen Platz mehr gebe für weitere Zuzügerinnen.
Verdichtung bedeutet oft, dass Häuser abgerissen werden, die man gut noch einmal für einen weiteren Zyklus hätte renovieren können. Die Frage stellt sich: Auf wessen Kosten schafft man mehr Platz und für wen? Man verdrängt Leute, die Wohnraum brauchen, der monatlich zwischen 800 und 1500 Franken kostet, und schafft Platz für jene, die es sich leisten können, 1800 bis 3000 Franken Miete zu zahlen.
Das wäre dann wohl das sogenannte mittlere Preissegment.
Genau. Die Eigentumswohnungen und teuren Mietwohnungen für 4000, 5000 Franken werden von Privaten erstellt und nicht von den Genossenschaften. Das rot-grüne Zürich verdichtet für die eigene Klientel. So oder so findet eine soziale Verdrängung statt. Denn wer ist auf Wohnraum zwischen 800 und 1500 Franken angewiesen? Das sind oft Ausländerinnen, sozial Randständige, Leute aus dem Niedriglohnsegment, Alleinerziehende, Rentner mit Ergänzungsleistungen – und ja, zum Teil sind das auch SVP-Wähler. Gleichzeitig gibt es heute einen grossen Run des städtisch aufgeschlossenen, rot-grünen, urban denkenden Jungvolks auf Genossenschaftswohnungen. Dabei fragen sie nicht nach, wer vorher dort wohnte und wohin diese Leute gegangen sind.
Denken Sie an ein konkretes Beispiel?
Nehmen wir die Genossenschaftssiedlungen an der Seebahnstrasse: Die sollen abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Die Studenten, die jetzt noch in WGs mit befristeten Mietverträgen dort wohnen, haben dann fertig studiert und verdienen ihre 100 000 Franken im Jahr. Sie sind jung und ungebunden und suchen sich zu dritt eine lässige Loge für 4500 Franken. Die nachfolgenden Studis müssen nach Dietikon ausweichen und ausserhalb der Stadtgrenze eine WG gründen.
Mir scheint, dass die Wohnform WG in den letzten Jahren immer marktfähiger wurde.
Auch in bestehenden Genossenschaftssiedlungen wie bei mir in Albisrieden oder am Entlisberg, die Ersatzneubauten weichen sollen, sind Studenten-WGs beliebt. Sobald die bisherigen Mieter ausziehen, werden die Wohnungen befristet an Wohngemeinschaften vermietet. Für die Genossenschaften ist diese Art der Zwischennutzung sehr angenehm. Die Zwischennutzer ziehen zu gegebener Zeit widerstandslos weiter, die Genossenschaft kann neue, grossräumige Wohnungen im mittleren Preissegment bauen und muss dabei kein schlechtes Gewissen haben, weil sie eine ausländische Familie oder alteingesessene Quartierbewohner auf die Strasse stellt.
Suchen diese Leute dann die Unterstützung des Mieterverbands?
Ich habe den Eindruck, dass gerade diejenigen, die unsere Hilfe am nötigsten brauchen, ihre Rechte tendenziell weniger kennen, sich nicht zu wehren trauen und oft nicht Mitglied des Mieterverbands sind. Als Anwältin habe ich mehr als einmal erlebt, dass sich bei Leerkündigungen eines Hauses fast nur jene Mieterinnen gewehrt haben, die wirtschaftlich bessergestellt oder besser gebildet waren. Die eingesessenen Alten oder Ausländerinnen waren gar nicht Mitglied bei uns. So ist es vermutlich auch heute noch.
Manuela Schiller (56) ist Präsidentin des MieterInnenverbands der Stadt Zürich. Sie lebt in einer Genossenschaftswohnung in Albisrieden. Als sie vor zwanzig Jahren dorthin zog, war es noch nicht cool, in einer Genossenschaft zu wohnen – und erst recht nicht in Albisrieden.