Auf allen Kanälen: Prost, Superreiche!

Nr. 48 –

Alle Jahre wieder veröffentlicht die «Bilanz» ihre Liste der 300 reichsten Schweizer:innen. Das Heft lässt mehr Fragen offen, als es beantwortet.

Ausriss: «Bilanz»

«Rekord: 821 800 000 000 Franken», verkünden Goldbuchstaben auf dem Cover der neusten «Bilanz»; das Ausrufezeichen hat man sich immerhin verkniffen. Achthundertzweiundzwanzig Milliarden Franken bringen die dreihundert reichsten Schweizer:innen «auf die Waage», heisst es dann mit leicht verquälter Metaphorik im Heft. Ein Schelm, wer da an eine Abspeckkur denkt?

Coronarekord!

Der Chefredaktor ahnt, dass sein Heft auf Ideen bringt: «Grandioser Stoff für Reichsten-Basher und Umverteilungs-Aficionados». Inspiriert von «Industrie-Patron» Michael Pieper, dessen Portfoliowert «dieses Jahr auf 5 bis 6 Milliarden Franken angeschwollen» ist, kommt der «Bilanz»-Chef aber in seinem Editorial zum Schluss: Erfolgreiche Unternehmen sichern Arbeitsplätze und zahlen Steuern; «diese Erkenntnis verdrängen die Reichsten-Basher leider zu oft.» Mit demselben «Argument» bodigt man in der Schweiz seit jeher jede politische Initiative mit leisen Umverteilungsideen.

Steuernzahlen ist im Heft dann leider kein Thema mehr, ebenso fehlen stichhaltige Analysen zum wundersamen Anschwellen der versammelten Portfolios. Es muss wieder einmal die unsichtbare Hand des Markts gewesen sein. Umso schriller ertönt der Marktschrei im «Schweizer Wirtschaftsmagazin»: «Höchster Stand aller Zeiten, höchster Zuwachs, höchste Steigerung bei den Top Ten». Und das im Coronajahr. Prost, Rekord!

Erwirtschaftet werden die unvorstellbaren Geldmengen auf Platz eins mit billigem Schrott für alle, den man uns auch noch selber zusammensetzen lässt: Ikea, geführt von den drei Erben des Firmengründers Kamprad, steht seit Jahren zuoberst auf dem Treppchen mit knapp 56 Milliarden Vermögen. Auf Platz zwei: Roche, also die Basler Pharmafamilien Hoffmann, Oeri und Duschmalé. Dritter: Klaus-Michael Kühne, dessen Logistikunternehmen Kühne + Nagel den grössten Zuwachs von allen vorweist. Platz 4: Chanel, Wein, Jagdgewehre von Gérard Wertheimer. «2021 gehören die Luxusgüterhersteller zu den grossen Profiteuren des weltweiten Aufschwungs», weiss die «Bilanz». Also doch nicht nur Schrott für die Massen. Auf Platz fünf dann die erste Bankenfamilie: die Safras. Platz sechs: Putin-Freund Gennadi Timtschenko, mit «Beteiligungen» kommt er auf gut 20 Milliarden. Ihm dicht auf den Fersen: die Blochers. Dank «Chemie, Kunststoff, Leckerli, Medien» sind die «drei reichsten Schwestern der Schweiz» 2021 nochmals 4 Milliarden schwerer geworden. Keine Ahnung, warum Christoph und Silvia auf dem Foto trotzdem übervorsichtig mit einem gerüschten Sonnenschirm unter wolkigem Himmel posieren.

Liftbauer Schindler (Rang 9) liess sich neben einer etwas sperrigen Skulptur des Heiligen Florian ablichten, des Patrons der Feuerwehr. Warum? Bleibt sein Geheimnis. So wie im Text auch nicht erwähnt wird, dass Schindler seit neustem einen rechtslibertären Thinktank sponsert. Kritische Anmerkungen sucht man in diesem seltsamen, als Nachschlagewerk aber nützlichen Heft eh vergeblich. Sogar die Bestsellerliste wurde passgenau zusammengestellt, auf Platz eins: «Rich Dad Poor Dad», ein Buch zum Thema «Was die Reichen ihren Kindern über Geld beibringen». Womöglich erfährt man darin mehr übers Reichwerden als von den brutal diskreten Superreichen mit ihren Rich Dads in der «Bilanz». Alles fliesst ineinander: schwarz-goldene Vermögensranglisten, schwarz-goldene Werbeseiten mit Luxusuhren, redaktionelle Inhalte. Quasi im Superreichenmittelfeld schwimmt auch Michael Ringier, der Verleger der «Bilanz», gleichauf mit Tamedia-Verleger Pietro Supino.

Welche Leistung?

Ein interessanter Neuzugang lauert auf den hinteren Rängen, irgendwo zwischen Robbie Williams, Nana Mouskouri und Exbankern wie Sergio Ermotti und Oswald Grübel, die ganz offensichtlich ein Leben lang viel zu viel verdient haben: Severin Schwan, CEO der Roche-Holding und damit Angestellter der Familie auf Gesamtrang zwei. Gemäss «Bilanz» ein «ruhiger und umgänglicher Typ ohne Extravaganzen». Etwas extravagant ist allerdings sein Lohn: 11 Millionen Franken im letzten Jahr. In einem handzahmen SRF-Dokfilm über Roche versuchte man kürzlich zu ergründen, mit welchen konkreten Leistungen sich solche Lohnsummen und Vermögenswerte rechtfertigen lassen. Vergeblich. Die «Bilanz» fragt nicht mal mehr danach.