Auf allen Kanälen: Das Gluckern der Coke

Nr. 4 –

«Sisters with Transistors» erzählt von zehn Pionierinnen der elektronischen Musik. Und von der befreienden und sinnlichen Kraft der Technik.

Wendy Carlos

Für den Science-Fiction-Film «Forbidden Planet» komponierte Bebe Barron 1956 den ersten komplett elektronischen Soundtrack der Filmgeschichte. Eigens konstruierten Schaltkreisen, die sich oft nach kurzem Gebrauch selbst zerstörten, entlockten Barron und ihr Mann Louis faszinierende Soundscapes, in denen die Unterscheidung zwischen Soundeffekten und Musik aufgehoben wird.

Das sprengte die Vorstellungskraft der American Federation of Musicians, die nicht erlaubte, das Werk als Musik zu bezeichnen; in den Filmcredits wird dieses daher (und aus finanziellen Gründen) zu «electronic tonalities», elektronischen Klangfarben, degradiert.

Linien werden zu Tönen

Bebe Barron ist eine von zehn Pionierinnen der elektronischen Musik, die Lisa Rovner in ihrem Dokumentarfilm «Sisters with Transistors» porträtiert. Die Auswahl ist zu gross, um dem Schaffen und dem Einfluss der Musikerinnen, Komponistinnen und Erfinderinnen gerecht zu werden, doch die über assoziativ montiertes Filmmaterial erzählte Geschichte stellt aufschlussreiche Bezüge zwischen den zehn Frauen her, die teilweise nicht einmal voneinander wussten. Es ist eine Emanzipations-, aber auch eine Mediengeschichte: Sie handelt vom Kampf um Anerkennung für ambitionierte Versuche, die musikalische Ästhetik zu erweitern, und von verschiedenen Wegen, die emanzipatorischen Möglichkeiten von Technologie zu nutzen.

Die Geschichte beginnt mit Clara Rockmore, der ersten Virtuosin auf dem Theremin, dem 1920 erfundenen Musikinstrument, das mit filigranen Handbewegungen in der Nähe einer Elektrode gespielt wird, und sie reicht bis zu Laurie Spiegel, die in den siebziger Jahren zu den Wegbereiterinnen der Computermusik zählte. Sogar aus gesellschaftskritischen Kreisen schlug ihr Misstrauen entgegen, wie sie sich im Film erinnert: «Für die damalige Gegenkultur gehörten Computer zu Banken, Armee und Versicherungen, Computermusik war für sie die völlige Entmenschlichung der Musik. Für uns war sie stattdessen die Befreiung.» Spiegel entwickelte unter anderem die Musiksoftware Music Mouse, die für sie ein Instrument war, das sie vollumfänglich kontrollieren konnte.

Auch Daphne Oram arbeitete an der Weiterentwicklung technischer Apparate, um ihre musikalischen Visionen zu realisieren. In den sechziger Jahren entwickelte sie die Oramatik, ein technisches System, das gezeichnete Linien in elektronische Töne umwandelte. Oram baute 1958 die Abteilung BBC Radiophonic Workshop mit auf, die Soundeffekte, Jingles und Musik für Radio und Fernsehen entwickelte und viel Freiheit für visionäre technologische Experimente genoss. Ebenfalls am BBC Radiophonic Workshop tätig war Delia Derbyshire, die Komponistin der Titelmusik für die Fernsehserie «Doctor Who».

Dass einige der Pionierinnen bei der Fertigung von Soundeffekten landeten, hatte nicht nur damit zu tun, dass die elektronischen Klänge dafür vielfältige neue Möglichkeiten bereithielten. Wendy Carlos, die als Filmkomponistin unter anderem mit ihrem Soundtrack für «A Clockwork Orange» bekannt wurde, fand in der Werbebranche, die besonders nahe am Puls der Zeit sein wollte, eine dankbare Kundin. «Niemand konnte mir sagen, was ich tun soll, weil sie gar nicht wussten, was ich mache.» Besonders schön: das elektronische Gluckern, das Carlos für eine Coca-Cola-Werbung kreierte.

Hören als Kunst

«Sisters with Transistors» handelt auch davon, dass diese Klänge wie aus anderen Welten das etablierte Hören herausfordern. Nicht zufällig werden Flugzeuge oder Sirenen als klangliche Inspirationen genannt. Für Pauline Oliveros wiederum, die 1970 in einem viel beachteten Artikel in der «New York Times» die strukturellen Barrieren für Komponistinnen anprangerte, war das Hören eine eigene Kunst, die es zu entwickeln galt – wozu sie die rituelle Methode des «deep listening» entwickelte.

Und natürlich geht es auch um die Haptik, um feine, präzise Handbewegungen über die vielen Regler und Kabel der riesigen Synthesizer. «Das ist wohl das am höchsten entwickelte System, das es gibt», sagt die Musikerin Suzanne Ciani vor einem Auftritt 1974 über ihren Buchla. «Und ich finde, es ist sinnlich.»

«Sisters with Transistors» im Berner Kino Rex, Sonntag, 30. Januar 2022, 11 Uhr, und Dienstag, 1. Februar 2022, 18 Uhr. Eine gekürzte Version ist bis Ende März auf arte.tv verfügbar.