Pop: Heimkommen als Simulation

Nr. 4 –

Ein ratterndes mechanisches Geräusch und ein schwebender Drone verstellen das Gehör, bevor Fragmente eines Beats, einer prozessierten Stimme und eines Synthesizers dazwischen spuken. Hat man die letzten fünfzehn Sekunden des Stücks bereits im Ohr, in denen der sehnsüchtige Popsong mit einer Fanfare wie von einem Rave endlich Form annimmt, lässt sich die anfängliche Orientierungslosigkeit nur noch erahnen. Man hört das Stück auf seine knappe Erlösung hin, als beschwerliche Auferstehung eines Popsongs – als würden sich dessen verschüttete Essenzen aus der Geräuschkulisse befreien. Oder ist am Ende alles vertrackter, das ratternde Geräusch am Anfang das eines Filmprojektors und die angebliche Essenz bloss eine Projektion? Die freigelegte Stimme im Finale jedenfalls fühlt sich ertappt: «Ich hätte nie gedacht, dass du meine Entfernung kennst.»

Bereits in diesem ersten Stück, «Luna» heisst es, passiert unglaublich viel. «Unsere Kanten sind aus Samt», die erste EP von Elischa Heller, dauert nur knapp zwanzig Minuten, aber die sind so dicht gewoben und vielfältig gebrochen, dass sich immer wieder neue Perspektiven freilegen lassen. Heller ist Performancekünstler und Musiker bei der Luzerner Krautrockband Film 2; wenn er seine elektronische Musik auf die Bühne bringt, ist das eine Mischung aus beidem: ein entrücktes Ritual, in dem die emotionalen Energien aus Popsongs mobilisiert, aber auch ausgestellt und ausgebremst werden. So riesig die Sehnsucht ist, so unscharf bleibt ihr Ziel; die manchmal seltsam vertrauten Melodien und Samples klingen wie Wiedergänger von etwas, das nie war.

Es ist ein ständiges Aufgehen und Zerfallen, die verletzlichen Gesangsteile geniesst man umso mehr, weil sie bald tatsächlich verletzt werden. Das letzte Stück führt noch mal durch flimmernden Noise und einen aufdringlichen Maschinenbeat, bevor man plötzlich glaubt, vom unscharfen Bimmeln einer Kuhherde umgeben zu sein – Heimkommen als gespenstische Simulation.

Elischa Heller: Unsere Kanten sind aus Samt. Blaublau Records. 2021