Pop: Frosch am Strand

Nr. 3 –

Reggaeton als Zeitmaschine: Der Superstar Bad Bunny hat ein geniales Album über die Sounds und Stimmen seiner Heimat Puerto Rico gemacht.

Portraitfoto des Musikers Bad Bunny
Legt verschüttete Musik und Verbindungen durch die Zeit frei: Bad Bunnys Musik klingt gleichzeitig oldschool und gegenwärtig. Foto: Eric Rojas

Sachen gibts! Da sitzen ein alter Mann und ein kleiner, aufgeweckter Frosch in einem olivgrünen Overall auf einer Terrasse und essen Süssgebäck. Der Mann erzählt von seinem Ausflug zur Bäckerei gerade eben, die offenbar kürzlich von einer US-amerikanischen Kette gentrifiziert wurde. Quesitos, das in Puerto Rico beliebte Blätterteiggebäck, gibt es darum jetzt auch vegan – also ganz ohne den namengebenden Frischkäse. Da fährt ein Sportwagen vorbei, ein schwerer Reggaetonbeat schallt herüber. Der Mann strahlt vor Freude, das habe er jetzt schon lange nicht mehr gehört, dass sie diese Musik aus den Autos spielen.

Gedreht haben diesen Kurzfilm der puerto-ricanische Regisseur Ari Maniel Cruz und Benito Martínez Ocasio, besser bekannt als Bad Bunny, der einflussreichste lateinamerikanische Popmusiker der Gegenwart. Und der Song, der da im Auto läuft, heisst «Eoo» und findet sich auf Bad Bunnys neuem Album «Debí Tirar Más Fotos», zu dem der Kurzfilm gehört. Nach dem ziemlich aufregenden «Un Verano Sin Ti» (2022), auf dem er die stilistische Vielfalt der Karibik feierte und das ihn endgültig zum globalen Superstar gemacht hat – kein Album wurde auf Spotify häufiger gestreamt –, und dem etwas langweiligeren, traplastigen «Nadie Sabe Lo Que Va a Pasar Mañana» (2023) nun also das: ein ganzes Album mit Sounds und Stimmen seiner Heimat Puerto Rico.

Von Despacito bis Rosalía

Puerto Rico, diese Insel in der östlichen Karibik, faktisch eine Kolonie der USA, die der Komiker Tony Hinchcliffe auf einer Wahlkampfbühne von Donald Trump als «Insel aus Müll» lächerlich machte. Worauf Bad Bunny ein Video postete, in dem Kamala Harris erklärt, wie Trump als Präsident die Insel nach einem Hurrikan im Stich gelassen hat. Gleichzeitig ist dieser politisch marginalisierte Ort mit gerade mal drei Millionen Einwohner:innen immer wieder gross rausgekommen im Pop, wir erinnern uns an Luis Fonsis «Despacito», an Daddy Yankees «Gasolina», an Ricky Martin.

«Eoo» ist einer der Songs auf dem Album, die an die grosse Zeit von Daddy Yankee in den frühen nuller Jahren erinnern, als Reggaeton das effektivste Vehikel einer bis heute andauernden «latin explosion» im Popmainstream wurde – mit einem klar karibisch markierten Beat, der sich aber auch gut an Hip-Hop und Pop anschmiegt. Bad Bunny imitiert die minimalistischen Produktionen von damals und modernisiert sie elektronisch versiert, sodass sie gleichzeitig oldschool und völlig gegenwärtig klingen: Reggaeton hat etwas magisch Zeitloses. Das Verfahren erinnert auch an Rosalías grosses Album «Motomami» – und siehe da, Bad Bunny rappts gleich selber: «Ich verschwende keine Zeit, ich wechsle sie wie Rosalía.»

Mit frischem Blick legt Bad Bunny nicht nur verschüttete Musik frei, sondern vor allem Verbindungen durch die Zeit. Das Album beginnt mit dem Song «Nuevayol» und einem Sample aus einem Stück der legendären Salsaband El Gran Combo, in dem diese in den siebziger Jahren New York besungen hat, dieses wichtige Zentrum der puerto-ricanischen Diaspora. Als nach zwanzig Sekunden der feierliche Unisonogesang der Combo erschallt, lässt Bad Bunny diesen leicht entrückt, aber auch ganz präsent klingen, dazu legt er eine runde Bassline und einen Dembow, diesen dominikanischen Beat, der noch gnadenloser zieht als Reggaeton – so geht das, einen Sound vergegenwärtigen.

Klarer aus der Distanz

Auch «Voy a Llevarte Pa’ PR» (übersetzt: Ich bringe dich nach Puerto Rico), der zweite Song auf dem Album, ist einer von diesem Schlag. Bei Bad Bunny, da bleibt er dem Genre treu, geht es immer auch um Verführung und die besten Strandpartys der Welt, aber diese Reise ist auch nostalgisch zu verstehen.

Bei «Baile Inolvidable», dem dritten Song, klagt er zu dichten, schmierigen Synthesizern über eine verflossene Liebe, als eine Fanfare plötzlich schwer nach Trompete klingt. Kurze Pause, Trommeln, gleiche Melodie, jetzt aber richtige Bläser: Fünf Minuten dauert der waschechte Salsa mitten im furiosen Auftakt dieses Blockbusteralbums – und Bad Bunny schafft es, dass es völlig bruchlos klingt. Es spielt hier eine blutjunge Band von einer Musikhochschule in Puerto Rico, auch alles andere hat er dort aufgenommen: mit der Band Los Pleneros de la Cresta etwa einen mit House gepimpten traditionellen Plena («Café con Ron») und mit der Sängerin Rainao eine zauberhafte Reggaetonhymne («Perfumito Nuevo»).

«Debí Tirar Más Fotos» (Ich hätte mehr Fotos machen sollen), der Blick in die Vergangenheit steckt schon im Albumtitel, auch in der Klage über die Gentrifizierung Puerto Ricos. Als er auf Tour jeweils Heimweh verspürt habe, erzählt Bad Bunny in einem Podcast der «New York Times», habe er die Musiker:innen gehört, die nun auf dem Album mitwirken. Doch bei dieser Gelegenheit sagt er auch einen Satz, der die Melancholie wieder vertreibt: «Manchmal sieht man klarer aus der Distanz.» Der Frosch im Kurzfilm, der als Freund, aber auch als Alien auf der Insel sitzt und beobachtet – es kann eigentlich nur Bad Bunny selber sein.

Albumcover «Debí Tirar Más Fotos» von Bad Bunny
Bad Bunny: «Debí Tirar Más Fotos». Rimas. 2025.