Festivals und Pandemie: Gegen die Wand?

Nr. 7 –

Die Berlinale findet wieder als Präsenzfestival statt – weshalb die Leitung schon im Vorfeld unter Beschuss geriet. Doch wer nun Sundance gegen das vermeintlich rückständige Berlin ausspielt, macht es sich zu einfach.

Solothurn kam noch glimpflich davon. Ein paar kritische Fragen in den Medien, ein paar Bedenken aus der Filmbranche, da und dort auch der Einwand, ein Filmfestival ohne Streamingangebot sei ein Rückschritt. Ansonsten aber blieb es wieder mal ruhig im Land, als klar wurde, dass die Solothurner Filmtage unter Einhaltung der geltenden Massnahmen wieder physisch vor Ort stattfinden würden, nach der pandemiebedingten Onlineausgabe im Jahr davor.

Ganz anders jetzt im Vorfeld der Berlinale. Die ist nicht nur in jeder Hinsicht viel grösser als die Filmtage in Solothurn – die Kritik fiel auch lauter, greller und heftiger aus.

«Pech, schade»

Eine internationale Grossveranstaltung dieser Dimension als reines Präsenzfestival in den Berliner Kinos? «Das ist nicht nur unverantwortlich, es ist auch gestrig», kommentierte die Kulturredaktorin Wenke Husmann bei «Zeit Online» und wähnte sich ob der Entscheidung der Festivalleitung «im falschen Film». Noch weiter ging die Filmkritikerin Anna Wollner: «Sagt die Berlinale ab!», forderte sie in einem Beitrag für den Rundfunk Berlin-Brandenburg. Und in der «taz» sah ein Journalist in der Woche vor der Berlinale schon die Katastrophe vor Augen: «Noch sechs Tage, dann wird der Tanker der deutschen Festivallandschaft mit Ansage gegen die (Omikron-)Wand gesetzt.»

Stimmen wie diese erzürnten den Filmkritiker Rüdiger Suchsland, der im Onlinemagazin «Artechock» lapidar titelte: «Wer nicht mag, geht nicht hin». Womit er es sich seinerseits viel zu einfach machte. Die digitalen und hybriden Formen, wie sie während der Pandemie mancherorts erprobt wurden, haben ja durchaus den Horizont des Möglichen verschoben: Inklusion ist das Stichwort. Dass Festivals mit Onlineangebot auch Menschen mit Beeinträchtigung den Zugang ermöglichen, lässt Suchsland indes nicht gelten. Schliesslich, schreibt er allen Ernstes, habe es auch vor der Pandemie schon Menschen gegeben, die aus gesundheitlichen, ökonomischen oder politischen Gründen nicht zur Berlinale fahren konnten, aber so sei das nun mal: «Pech, schade. Aber nicht zu ändern.» Als der iranische Regisseur Jafar Panahi seinen Goldenen Bären nicht persönlich empfangen konnte, weil er in seiner Heimat unter Hausarrest stand, war das also auch einfach: Pech, schade?

Die letzten zwei Jahre, als die Festivals gezwungen waren, sich gegenüber anderen Kanälen zu öffnen, haben es ja gezeigt: Doch, da lässt sich sehr wohl einiges ändern. Als zukunftsweisend wird jetzt gerne das Sundance-Festival in den USA angeführt, das im Januar eigentlich wieder hybrid hätte durchgeführt werden sollen, also zugleich vor Ort und im Netz. Wegen Omikron fand es dann doch nur online statt – mit dem Effekt, dass das mediale Echo vielstimmiger wurde, weil nun auch Menschen über Sundance berichteten, die sich die teure Reise ans Festival gar nie hätten leisten können.

Wobei das auch ein wenig ein Witz ist, wenn gerade Sundance als Vorbild und Gegenentwurf zur Berlinale herumgereicht wird. Ausgerechnet dieses bis vor der Pandemie äusserst exklusive und kostspielige Festival im noblen Wintersportort Park City als Wiege von Inklusion und Awareness für die prekarisierte Filmkritik? Da scheint die Imagepflege ja prima funktioniert zu haben.

Hybrid sind wir schon längst

Ohnehin ist es unredlich, Sundance gegen Berlin auszuspielen: Ersteres ist wie Cannes weitgehend ein Rendezvous für Branche und Medien, die Berlinale dagegen war seit jeher viel offener – ein Filmfest, das eng an das Stadtleben geknüpft ist und eben auch von der Bevölkerung fleissig besucht wird. Und etwas weiss Carlo Chatrian, der künstlerische Leiter der Berlinale, seit seiner Zeit in Locarno wohl besser als manche: Festivals sind eben auch der Ort, wo die Menschen für Filme ins Kino gehen, für die sie sich im Jahr durch sonst kaum die Zeit nehmen.

Ganz ähnlich in Solothurn. Wenn die Filmtage, wie 2021 geschehen, den Eröffnungsfilm einfach im Schweizer Fernsehen ausstrahlen und deshalb plötzlich viel mehr Publikum ausweisen können, dann gefällt das vielleicht den Sponsoren, die mehr Reichweite wittern – aber mit einem Filmfestival hat das nicht mehr viel zu tun. Wer aber umgekehrt den dunklen Saal unter allen Umständen als einzig wahre Spielstätte fürs Kino fetischisiert, verkennt die neuen Realitäten. Schon heute ist es ja so, dass man vieles, was man unbedingt sehen will, nur im Netz überhaupt sehen kann. Anders gesagt: Unsere Sehgewohnheiten sind längst schon hybrid gewesen, bevor die Festivals in der Pandemie lernen mussten, was das für sie heissen könnte.