Krankenversicherungsgesetz: Zurück auf dem Tapet: Artikel 47c

Nr. 10 –

Um die Kosten im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen, will der Bundesrat die Tarifpartner zwingen, Kostenziele zu vereinbaren. Letzte Woche stimmte der Nationalrat diesem eigentlich schon abgeschriebenen Anliegen zu. Ob das auch die Grundversorgung tangieren könnte, ist umstritten.

Die obligatorische Krankenpflegeversicherung ist die einzige soziale Sicherung hierzulande, die bisher die Entwicklung der Kosten nicht zu steuern versuchte. In den letzten zwanzig Jahren sind die Kosten stark gestiegen: jährlich um rund 4,5 Prozent, fast doppelt so viel wie das Bruttoinlandsprodukt. Die Ursache liegt weniger in den Tarifen für die Leistungen, die im Ärzt:innentarif Tarmed reguliert sind, als vielmehr in deren Menge.

Davon ausgehend, hat der Bundesrat eine Vorlage mit zwei Paketen entworfen, die insbesondere auch einer unkontrollierten Ausweitung nicht notwendiger Leistungen einen Riegel schieben soll. Seit Anfang des Jahres bereits in Kraft ist eine Zulassungsregulierung, die dafür sorgt, dass nicht zu viele Ärzt:innen in einem Fachbereich arbeiten.

Vergangene Woche nun stimmte der Nationalrat dem umstrittensten Artikel im ersten Paket zu: Artikel 47c («Massnahmen zur Steuerung der Kosten») im Krankenversicherungsgesetz. Und das, nachdem dieser eigentlich schon beerdigt schien. Im Dezember noch kippte Ständeratspräsident Thomas Hefti (FDP) mit einem Stichentscheid den Artikel aus dem Gesetz. Dann aber fischte ihn Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel mit einem Rückkommensantrag nochmals aus dem Papierkorb.

Heftiger Widerstand

Der Artikel zwingt die Tarifpartner, die Kosten für Leistungen zu reduzieren, falls sie im Vergleich zum Vorjahr zu sehr steigen. Das heisst, medizinische Leistungserbringer müssen mit den Krankenkassen ein Kostenziel vereinbaren. Bei einer Überschreitung dieses Ziels würde fürs folgende Jahr entweder ein tieferer Tarif eingesetzt – oder die Leistungserbringer müssten Geld zurückzahlen.

Derweil die Linke und die Mitte-Partei dem Artikel zustimmten, befürchten FDP und die SVP «planwirtschaftliche Eingriffe», wenn es zu keiner Einigung zwischen den Tarifpartnern kommen sollte. Doch auch die meisten Leistungserbringer und Krankenkassen stemmen sich gegen eine solche Massnahme. Heftig ist der Widerstand von Ärztinnen, insbesondere von Allgemeinpraktikern. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sich die Einführung eines neuen Tarmed-Modells (Tardoc) verzögert, worunter insbesondere Hausärztinnen und Psychiater leiden, deren Leistungen bislang mit vergleichsweise tiefen Tarifen entgolten werden – derweil Behandlungen wie etwa jene des Grauen Stars aufgrund technologischer Fortschritte viel zu hoch bewertet sind. So argumentiert etwa Yvonne Gilli, Hausärztin und ehemalige Nationalrätin der Grünen, pointiert gegen Artikel 47c. Sie befürchtet eine Rationierung der medizinischen Leistungen, eine Bevorteilung von Privatversicherten – und letztlich eine Zweiklassenmedizin (vgl. «‹Wir haben die Kosten im Griff›» ).

Verbindliche Qualitätsvorgaben

Die Mehrheit der Linken jedoch sieht das anders. «Die Befürchtungen, dass es zu einer Rationierung kommen würde, teilen wir nicht», sagt die St. Galler SP-Nationalrätin Barbara Gysi. «Um einen Leistungsabbau zu verhindern, haben wir verbindliche Qualitätsvorgaben.» Tatsächlich ist die neue Fassung differenzierter als der ursprüngliche Vorschlag: Korrigiert werden soll nur in Fällen, in denen steigende Kosten «nicht erklärbar» sind. Letztlich schaffe der Artikel Transparenz, sagt Gysi, «die Kantone und der Bund erhalten dadurch mehr Einsicht in die Kostenstruktur». Gysis Antrag für die Einführung eines Absatzes, der besagt, dass der Zugang zu den Leistungen nicht eingeschränkt werden darf, wurde zwar abgelehnt, könnte aber nochmals aufgenommen und in den Artikel integriert werden.

Das «Zünglein an der Waage» waren in diesem Fall Gillis Parteikolleg:innen, die Grünen. Die Zürcher Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber stellte vor der Abstimmung den Antrag, diese Debatte zu verschieben, um den Zusatzartikel später zusammen mit der Kostenbremseinitiative der Mitte-Partei und der Prämienentlastungsinitiative der SP zu behandeln, für die die nationalrätliche Kommission eigens eine Subkommission eingesetzt hat. Es sei daher «sachlogisch», auch Artikel 47c in diesem Rahmen zu diskutieren.

In ihrer Partei habe man bei der Frage zu diesem Artikel «unendlich gerungen». Sie selbst sei für eine Kostensteuerung, sagt Prelicz-Huber. Und weiter: «Die Frage sollte aber eher lauten: Was brauchen wir, und was müssen wir allen garantieren können? Und weniger: Was brauchen wir nicht?» Von daher könne sie Yvonne Gillis Sorgen nachvollziehen: «Man könnte ja wirklich auch an anderen Stellen ansetzen, um Fehlanreize für unnötige Behandlungen zu verhindern – etwa bei Chefarzt- und Managerlöhnen oder Boniauszahlungen.»

Nachdem SP-Gesundheitsminister Alain Berset noch einmal klar versichert habe, dass es «in keiner Weise um ein Globalbudget» und das Einläuten einer Rationierung gehe, sondern darum, «den Kostenanstieg auf das medizinisch vertretbare Mass zu beschränken», habe sie dem Artikel doch auch zugestimmt, sagt Katharina Prelicz-Huber. Die tieferen Gründe für die Probleme im Gesundheitswesen jedoch macht sie anderswo aus: «Das Hauptübel liegt in den vor zehn Jahren eingeführten Fallpauschalen, den DRG. Seither befinden wir uns in dieser unseligen Ökonomisierung und sind in einem System gefangen, in dem wir nicht viel mehr tun können, als das Schlimmste zu verhindern.»

Vor der Kostenbremseinitiative

Ein Grund dafür, dem Artikel trotzdem zuzustimmen, lag womöglich auch darin, ein Stück weit der Kostenbremseinitiative zuvorzukommen – und sie dadurch im besten Fall obsolet zu machen. Ginge es nach der Mitte-Partei, stünden nämlich weit undifferenziertere Massnahmen zur Debatte: Die Gesundheitskosten würden direkt an die wirtschaftliche Entwicklung gekoppelt – kaum auszudenken, was das in einer gröberen Wirtschaftskrise für Folgen hätte. In den Augen von Prelicz-Huber ist die Initiative der Mitte daher viel eher eine «Abbauinitiative». Günstigere Prämien – und dafür einen erschwerten Zugang zur Grundversorgung? Dann doch lieber ein Artikel wie 47c, der ausdrücklich nur bei nicht notwendigen Leistungen Einhalt gebietet.

Auch wenn die Mitte versuchen sollte, ihre Initiative mit günstigeren Prämien schmackhaft zu machen: Bei einer Volksabstimmung dürfte das Begehren kaum Chancen haben. Ruth Humbels Zurückkommen auf Artikel 47c dürfte somit der Strategie geschuldet sein, wenigstens so einen Teil davon realisieren zu können. Zunächst kommt er nun wieder in die Gesundheitskommission des Ständerats und im Sommer in den Ständerat.

Für die Linke stellt sich derweil die Frage, was für gesundheitsökonomische Argumente sie dem lauten Ruf nach Sparmassnahmen aktiv entgegensetzen kann. Was es sicher braucht, auch wenn es schwierig sein dürfte, Mehrheiten zu gewinnen: die zügige und progressive Umsetzung der Pflegeinitiative; eine verbesserte Koordination bei der Behandlung chronisch kranker Menschen sowie eine sinnvolle überregionale Spitalplanung.

Besonders dringend, gerade im Hinblick auf die steigenden Prämienkosten, ist ein baldiger Entscheid des Parlaments für die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen. Konkret hiesse das: mehr Steuer- und weniger Prämienfinanzierung auch im ambulanten Bereich – und damit die Stärkung einer kostengünstigen ambulanten Grundversorgung.