Kino-Film «Clara Sola»: Ausbruch der Sinne

Nr. 11 –

Das weisse Kleid, von der Mutter aufgezwungen, ist ihr ein Graus. Clara wirft sich in den Schlamm und wälzt sich darin, beschmutzt sich das Gesicht und lehnt sich an einen Baum. Im Wald ist alles realer. Die Atmung wird schwerer, Käfer laufen ihr durchs Haar. Clara und die Natur werden eins. Zu Hause hingegen, wenn sie ihre Hände nicht mehr kontrollieren kann oder will, zwingt die Mutter sie, diese in aufgeschnittene Chilischoten zu stecken, «damit sie es so lerne».

Clara ist vierzig, hat ein verkrümmtes Rückgrat und heilende Kräfte. Sie ist eine Gefangene ihres Körpers, aber auch ihrer Mutter, die in ihr die personifizierte Mutter Gottes erkannt hat, von deren mystischer Gabe die aus drei Frauengenerationen bestehende Familie lebt. Sie kennt von allen Lebewesen den geheimen Namen; ihr eigener lautet «Sola», alleine. Als Santiago, der schöne Freund von Claras Nichte, zu Besuch kommt, erwachen Dinge in Clara, die mit der religiösen Verklärung durch die Mutter nichts gemein haben, dafür alles mit den Sinnesexplosionen im Wald.

«Clara Sola», der erste lange Film der schwedisch-costa-ricanischen Regisseurin Nathalie Álvarez Mesén, lebt von der differenzierten Betrachtung einer ausschliesslich weiblichen Kleinfamilie, in der über Religion und Brauchtum trotzdem die patriarchale Unterdrückung weiblicher Körper fortgetragen wird. Wie einengend die Regeln dieser Gemeinschaft sind, wird umso deutlicher, wenn diese während Claras Waldgängen buchstäblich von ihrem Körper abzufallen scheinen.

Die Inszenierung mit ihren Nahaufnahmen, eindringlichem Sounddesign und assoziativem Schnitt ist für einen Erstling von eindrücklicher Ausdruckskraft. Nichts aber ist für die Vermittlung des Kampfes um Claras Seele so zentral wie das körperlich intensive Spiel von Wendy Chinchilla Araya, die eigentlich Tänzerin ist. Sie vermag Claras Gefangenschaft und letztlich ihren Ausbruch so intensiv zu verkörpern, dass die magischen Aspekte für den sinnlichen Realismus dieses Films nicht einmal nötig gewesen wären.

Clara Sola. Regie: Nathalie Álvarez Mesén. Costa Rica 2021