Comic: Auf Traumreise im Koma
Da fliegen sie wieder durch leere Landstriche, diese Raumgleiter, die aussehen, als seien sie wie Origamiobjekte aus weissem Papier gefaltet. Schon in seiner letzten Graphic Novel liess Jeremy Perrodeau solche Einsitzer übers Land schweben: «Dämmerung» war das, ein psychedelischer Thriller über einen Forschungstrip auf einem Planeten, wo die Natur von geheimnisvollen Wucherungen entstellt wird. «Ruinen» heisst nun das neue Buch des französischen Zeichners, was den Originaltitel allerdings nur unzureichend wiedergibt. «Le long des ruines», das kann nämlich auch «Die Trümmer entlang» heissen. Und wenn es auch hier wieder um eine Forschungsreise geht, so führt diese eher in eine heimtückische Trümmerlandschaft als zur malerischen Schönheit alter Gemäuer.
Die Trümmer allerdings, das sind seelische Bruchstücke, denn der Planet, der diesmal erkundet wird, ist das Unterbewusstsein einer Frau. Diese liegt schon lange im Koma, in der Villa ihrer Eltern in einer futuristischen Metropole. Als letzte Hoffnung haben die Eltern jetzt einen Söldner mit besonderen Fähigkeiten aufgeboten: Er soll sich dank seiner fantastischen Apparaturen in die Seelenwelt der Patientin einschleusen, um diese dort aufzuspüren und in die Wirklichkeit zurückzuholen. Und weil die Schwester der Gesuchten nicht lockerlässt, nimmt er sie widerwillig auf seine Reise mit.
Zuerst zu Fuss, später dann auch auf den erwähnten Raumgleitern rücken sie nun in diese komatöse Welt vor – eine Art prototypischer Wilder Westen, archaisch und scheinbar unbelebt, wo immer wieder irgendwelche Banditen und andere Outlaws mit Knarren lauern. Perrodeau taucht seine Landschaften in ein monochromes Türkis, aber anders als noch in «Dämmerung» brechen die Panels hier selten aus der geregelten Ordnung aus. «Ruinen» ist stärker auf den Plot ausgerichtet, und dieser bleibt trotz doppeltem Boden etwas eindimensional. Aber wenn die Figuren über mehrere Seiten wortlos durch diese fremden Landstriche gleiten: reisen wie im Traum.
Jérémy Perrodeau: Ruinen. Aus dem Französischen von Christoph Schuler. Edition Moderne. Zürich 2022. 232 Seiten. 42 Franken