Pap Ndiaye: Anwalt des aufgeklärten Friedens

Nr. 22 –

Die Rechte in Frankreich hetzt mit Schaum vor dem Mund gegen den neuen Bildungsminister. Dabei könnte man sich einen gemässigteren Politiker als Pap Ndiaye in dem Land derzeit kaum vorstellen.

Die Ernennung von Pap Ndiaye zum Bildungsminister war die grosse Überraschung der am 20. Mai vorgestellten neuen französischen Regierung. Sie übertraf sogar die Verwunderung, die man angesichts der Beibehaltung der heftig umstrittenen Innen- und Justizminister aus der Vorgängerregierung empfinden mochte. Oder das Befremden, das die Ersetzung der ihrerseits respektierten, entscheidungsstarken Kulturministerin auslöste.

Wie zu erwarten war, wurde Ndiaye sogleich aus der rechten Schmuddelecke angegriffen. War Christiane Taubira, Tochter französisch-guyanischer Eltern und von 2012 bis 2016 Justizministerin, seinerzeit aus jenem Lager als «Äffin» verunglimpft worden, so haben sich die Attacken gegen den Sohn einer Französin und eines Senegalesen jetzt vom Biologischen aufs Ideologische verlegt. Für Marine Le Pen, die ewig glücklose Präsidentschaftskandidatin des rechtsextremen Rassemblement National, ist Ndiayes Ernennung «der letzte Stein in der Dekonstruktion unseres Landes, seiner Werte und seiner Zukunft». Parteifreunde Le Pens nannten den neuen Bildungsminister einen «rassialistischen Aktivisten» und einen «Bullenfeind» («anti-flic»).

«La Condition noire»

Laut einem anderen rechtsextremen Bewerber für das höchste Staatsamt, dem abgeschlagenen Éric Zemmour, werde Frankreichs Bildungsminister gar «die Geister der kleinen Franzosen umformatieren, um ihnen einzutrichtern, dass die Weissen ewig schuldig, die Schwarzen hingegen Opfer sind und dass wir ein Immigrationsland sind und es vor allem bleiben müssen». Rechtspopulistische Vertreter der einst staatstragenden Partei Les Républicains fügten dem hinzu, Ndiaye sei ein Propagandist der «Woke-Ideologie» und ein Adept des islamismusfreundlichen Linksextremismus («islamo-gauchisme»).

Keiner dieser Anwürfe hält auch nur einer flüchtigen Überprüfung stand. Es gibt kein ausgeglicheneres Temperament, keinen gemässigteren Apologeten des Mittelwegs als Pap Ndiaye. Weggefährt:innen des Historikers beglaubigen, er erhebe nie die Stimme und besitze die beneidenswerte Gabe, jeden noch so hitzigen Konflikt zu besänftigen. Seine Schwester, die grosse Roman- und Theaterautorin Marie NDiaye, erwiderte auf die zitierten Attacken: «Pap ist nie extrem, nie radikal, er sucht die Einigung, den Konsens.» Ihr Bruder, so brachte es die Goncourt-Preisträgerin auf den Punkt, sei ein Anwalt des aufgeklärten Friedens.

Selbst charakterisiert sich Pap Ndiaye als «engagiert, aber nicht militant». Mit 25 Jahren erwachte in ihm bei einem Studienaufenthalt im Süden der USA das Bewusstsein für die eigene Hautfarbe. Diesem fundamentalen Erlebnis entsprang eine Reihe von Publikationen, die das Wort «schwarz» im Titel tragen. «La Condition noire» (2008), ein 500-seitiger «Essay über eine französische Minderheit», verstand sich als Versuch, ein französisches Pendant zu den US-amerikanischen Black Studies zu begründen.

Nuancierte Konversation

Seine Fachkompetenz bringt Ndiaye regelmässig in Diskussionen zum weiten Problemfeld «Rassismus» ein, oft mit Verweis auf die Unterschiede zwischen Frankreich und den USA. «Universalistische» Bürgerrechtsbewegungen seien nicht, wie von manchen kritisiert, Bastionen alter weisser Männer, wären aber gut beraten, sich verstärkt Jüngeren, Andersfarbigen zuzuwenden; «partikularistische» antirassistische Vereinigungen ihrerseits neigten mitunter zu Nabelschau und Selbstgerechtigkeit. Einen Staatsrassismus gebe es in Frankreich nicht, wohl aber einen «strukturellen Rassismus», der zum Beispiel entsprechende Praktiken in der Polizei erkläre. Mit den jungen Vertreter:innen der «Wokeness»-Bewegung teile er die meisten Engagements (Kampf gegen Rassismus, Sexismus, Umweltzerstörung), nicht jedoch die Neigung zum Moralisieren. Man könnte so fortfahren – doch Ndiayes Grundhaltung ist klar: weder allzu versöhnliche Generalamnestie noch sektiererische Sippenhaft.

Als Leiter des Pariser Museums für Immigrationsgeschichte seit März 2021 hatte der Historiker den dort organisierten Debatten die Form höflicher, nuancierter Konversationen zu geben versucht. Die Teilnehmer:innen lud er ein, «sich durch den Standpunkt des Gegenübers verwandeln zu lassen». Vom Werdegang her ist Ndiaye ein Produkt der republikanischen Meritokratie, vom Habitus her ein fast idealtypischer Exponent der Kultur des akademischen Disputs. Unter der Obhut der alleinerziehenden Mutter, einer Lehrerin mit bäuerlichem Familienhintergrund, in einem «ausschliesslich weissen» Pariser Vorort aufgewachsen, brillierte er als Literatur- und Geschichtsstudent an Pariser Eliteschulen. Zwei von ihnen, die École des hautes études en sciences sociales und die Sciences Po, beriefen ihn später zum Dozenten.

Wie wird sich ein Intellektueller mit schwacher Vernetzung in der Politwelt auf einem derart exponierten Posten bewähren? Ndiayes Amtsvorgänger hatte mit einem Kulturkampf gegen «Wokeness» und «islamo-gauchisme» polarisiert. Der neue Bildungsminister seinerseits inaugurierte seine Amtszeit mit einer Verneigung vor dem durch einen Islamisten ermordeten Schullehrer Samuel Paty. Eine ebenso demütige wie konsensfähige Geste.