Uber-Urteil: Das Ende der Wildwestzeit
Schon am Samstag war Uber aus Genf verschwunden. Auf der App tauchten keine Fahrgelegenheiten mehr auf. Seit acht Jahren ist das Unternehmen aus San Francisco in der Stadt präsent, nun hat es sein Angebot vorerst sistiert – nachdem tags zuvor das Bundesgericht der Genfer Regierung recht gegeben hatte, dass Uber-Fahrer:innen nicht als Selbstständigerwerbende zu definieren sind, sondern als Angestellte. Gemäss Bundesgericht ist Uber ganz einfach ein Transportunternehmen. Und muss seinen Fahrer:innen – fürs Erste zumindest in Genf – entsprechend Arbeitsrechte und Sozialleistungen gewähren.
Uber versteht sich aber als Technologieanbieter, als luftige Schnittstelle moderner Dienstleistungsvermittlung; ganz im Geist der grossen kalifornischen Techplayer will es «disruptiv» agieren, ein Treiber des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts sein. Indem es sich altertümlicher Arbeitsverhältnisse, angestaubter Sozialpartnerschaftsmodelle und bürokratischen Ballasts entledigt, sollen alle gewinnen: die Nutzer:innen, denen mit schnittiger Technologie günstigste Mobilität und grösstmögliche Bequemlichkeit geboten werden; die Fahrer:innen, die sich an keine Dienstpläne halten müssen; und natürlich Uber selbst, das mindestens ein Viertel jedes Fahrpreises für sich beansprucht.
«Wir sind eine Plattform, das ist unsere DNA», sagte Steve Salom, der Schweizverantwortliche von Uber, Ende 2019 gegenüber der «NZZ am Sonntag». Und er hielt fest: «Wenn tatsächlich alle Instanzen sagen: ‹Ihr seid ein Arbeitgeber, und daneben gibt es keine Alternative›, könnten wir hier nicht mehr operieren.»
Das Bundesgerichtsurteil ist über Genf hinaus bedeutsam. Auch in anderen Kantonen erhalten nun Bestrebungen Rückenwind, dem Geschäftsmodell von Uber arbeitsrechtliche Schranken zu verpassen. Wenn Uber jetzt darüber klagt, dass damit Tausende Fahrer:innen in ihrer Existenz bedroht seien, dann ist das nicht falsch – aber eben eine Frage der Perspektive.
Schliesslich wurde Uber in Genf nicht verboten. Es hat seinen Dienst eingestellt, weil die Firma nicht bereit ist, gesetzeskonform zu geschäften – zumindest nicht freiwillig: Uber will nun Möglichkeiten suchen, unter Beizug von Mittlerfirmen die Genfer Anforderungen zu erfüllen, wie es seit September 2020 auch die Essensliefersparte Uber Eats tut. Wie stark der Firma das Wohlergehen der Betroffenen am Herzen liegt, wird sie zeigen können, wenn die Genfer Fahrer:innen nun verlangen, dass Uber rückwirkend ausstehende Beiträge in die Sozialwerke einzahlt.
Das Urteil des Bundesgerichts ist vor allem deshalb erfreulich, weil es immerhin in diesem Fall anerkennt, dass auch in der wolkigen Welt des Plattformkapitalismus die Firmenprofite nicht vom Himmel fallen. Sie werden noch immer von Menschen generiert, die oft unter prekären Bedingungen ihre Arbeitskraft und ihre Lebenszeit hergeben. Und das Irre ist: Uber hat seit der Gründung im Jahr 2009 damit noch nicht einmal Gewinn erzielt.
Die riesigen globalen Einnahmen – 2021 über siebzehn Milliarden US-Dollar – werden von den Kosten eines aggressiven Expansionskurses gefressen: Ständig erschliesst Uber neue Städte, entwickelt neue Geschäftszweige. Finanziert wird dies von Investor:innen, die eine langfristige Wette eingehen: Sie spekulieren darauf, in noch unregulierten Arbeitsmärkten neue Tatsachen zu schaffen, Konsumgewohnheiten zu etablieren und sich darin eine Monopolstellung zu sichern. Die Profite sollen folgen.
Nicht nur in der Schweiz zeichnet sich ab, dass die Wildwestzeit im Plattformkapitalismus nicht ewig währen dürfte. Auch die EU-Kommission schlägt Regulierungsmassnahmen vor, manche Städte haben das Uber-Geschäftsmodell bereits verboten. Das ist nicht technologiefeindlich, schliesslich lassen sich geschmeidige Smartphone-Apps auch für regulierte Arbeitsverhältnisse entwickeln. Schon gar nicht ist es rückwärtsgewandt: Arbeiter:innenrechte sind erkämpfte Errungenschaften und damit ein Inbegriff gesellschaftlichen Fortschritts.