Festung Europa: Der bislang tödlichste Tag

Nr. 26 –

In Melilla sind schon viele Bilder entstanden, die sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Bilder etwa, auf denen in Weiss gekleidete Leute auf grünem Rasen Golf spielen, während gleich dahinter Menschen verzweifelt einen Grenzzaun zu erklimmen versuchen. Die Stadt ist eine von zwei spanischen Exklaven an der marokkanischen Mittelmeerküste – ein Aussenposten der Wohlstandsinsel Europa, hochgerüstet zum Bollwerk der Migrationsabwehr.

Am Freitag sind neue Bilder entstanden. Sie sind kaum zu ertragen. Aufnahmen von toten oder sterbenden Menschen, die zuvor versucht hatten, auf spanisches Staatsgebiet zu gelangen. Etwa 2000 sollen es diesmal gewagt haben, die meisten wurden von den marokkanischen und den spanischen Grenzwächtern brutal zurückgedrängt. Mindestens 23 kamen dabei ums Leben – Menschenrechtsorganisationen berichten gar von bis zu 37 Toten. Wie genau sie ums Leben kamen, ist bis jetzt ungewiss. Es war der bislang tödlichste Tag an einer EU-Aussengrenze an Land.

Was die Videoaufnahmen aus Melilla so unerträglich macht, ist die Brutalität, mit der die marokkanischen Sicherheitskräfte vor der Grenzanlage auf wehrlose Menschen einprügeln. Und die unsägliche Verachtung, mit der sie zwischen leblosen und versehrten Körpern umhergehen. Als wollten sie demonstrieren, wie wenig ein Menschenleben vor den Toren Europas wert ist.

Spanien hat eben erst einen langwierigen diplomatischen Disput mit Marokko beigelegt, im Zuge dessen das nordafrikanische Land die Migrant:innen als Druckmittel eingesetzt hatte. Entsprechend lobte Spaniens sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sánchez nun die «koordinierte Zusammenarbeit» an der EU-Aussengrenze, mit der ein angeblich «gewaltsamer Angriff» abgewehrt worden sei. Und EU-Ratspräsident Charles Michel sagte Sánchez seine «totale Unterstützung» zu.

Menschenrechtsorganisationen in Marokko und Europa widersprechen – und fordern wie auch die Afrikanische Union eine Untersuchung der Geschehnisse. Der Kampf gegen die Menschenverachtung an Europas Grenzen muss weitergehen.