Gabber Modus Operandi: Memento mori der Freude

Nr. 28 –

Tanzmusik aus Bali muss zuerst einmal laut sein – zu diesem Schluss kommt das Elektronikduo Gabber Modus Operandi. Dafür gibt es viele Gründe.

DJ Kasimyn und Sänger Ican Harem von Gabber Modus Operandi
«Wir sind Internetkids, wir wissen, was es auf der Welt so alles gibt»: DJ Kasimyn und Sänger Ican Harem. Foto: Okatvian Adhiek Putra

Bereits die erste Frage zielt in die Wüste. Das indonesische Elektronikduo Gabber Modus Operandi ist gerade auf Europatour und spielt auch ein paar Konzerte in den Niederlanden – ob es da eine spezielle Verbindung gibt zu dem Land? Dort entstand in den neunziger Jahren eine ultraschnelle Variante von Hardcoretechno, genannt Gabber; ausserdem sind die Niederlande die ehemalige Kolonialmacht Indonesiens. Ican Harem amüsiert die Frage. «Sie meinen, dass wir uns diesen Stil angeeignet haben, um sie jetzt zurückzukolonisieren? Nein, das interessiert uns nicht. Das Wort ‹gabber› gibt es auch in unserer Sprache, es bezeichnet das Geräusch, wenn ein Motorrad gestartet wird. Am Schluss geht es einfach um Energie.» Er beisst die Zähne zusammen und gibt ein spitzes Knurren von sich.

Ican Harem ist der Sänger von Gabber Modus Operandi. Dazu kommt Kasimyn, der DJ. Die beiden sitzen auf der verwaisten Terrasse eines Hotels in Fribourg und sind euphorisch gelaunt. Harem holt Bier von gestern Nacht aus dem Zimmer und fragt nach Zigaretten. Bis drei Uhr morgens standen sie in Düdingen auf der grossen Bühne der Bad Bonn Kilbi, das letzte Konzert des Festivals – es wirkte wie ein erlösender Taumel, eine bewusst platzierte Katharsis.

Postkoloniale Schablone

Ein Becher Bier stand da auf einem der Subwoofer, als Kasimyn von seinem Pult aus die erste Salve Bassdrums losschickte, und die Vibrationen liessen ihn beben und schwanken, bis er zu Boden fiel. Die Musik von Gabber Modus Operandi ist zuerst einmal: sehr laut, schrill und schnell, mindestens 180 Schläge pro Minute. Unnachgiebig hämmern die Bässe und das industrielle Schlagwerk, darüber schneidende Fanfaren wie von einem Rave im Irrenhaus oder aus einem Gameboysoundtrack, dazwischen zu Irrlichtern geloopte Gesänge oder Flöten. Doch so grob, wie das sein könnte, fühlt es sich überhaupt nicht an. Es wirkt wie ein Trick: Als würden die rasenden Beats ein Plateau hochheben und in der Schwebe halten, damit all die Körper darauf hüpfen und tänzeln können. Auch das Bewusstsein beginnt zu flimmern vor diesem Vexierbild zwischen Kanonenhagel und Wellenreiten.

Wie viel Humor steckt eigentlich in diesem musikalischen Exzess? Oder auch in den hysterisch flackernden Visuals auf der Leinwand oder dem, was Ican Harem während des Sets mit seinem Körper anstellt? Er steckt in Fetzen und einer Maske aus Stoff, von den Handschuhen strahlen grüne Laser ab, er zuckt damit um den DJ herum und schreit ins Mikrofon wie ein Metalsänger auf Zauberpilzen.

Schnell ist die Rede von Performance, wenn Pop mit ein paar Konventionen der Darbietung bricht, oder gar von einem Ritual. Auch auf der Terrasse in Fribourg. Aber da lauert der nächste Irrweg oder gar eine postkoloniale Schablone. «Klar, als Musiker, die in einem Clubsetting spielen, ist das unser Ritual», sagt Harem. «Aber es hat auch eine andere Dimension: Wir kommen aus Asien, dann noch aus Bali, machen gewisse Bewegungen, spielen gewisse Melodien, also sieht das für euch im Westen schnell aus wie ein Ritual. So gesehen: nein!»

Tanzmusik aus Bali, wie kann das klingen? Die Frage scheint simpel, aber sie führt mitten ins widersprüchliche und faszinierende kulturelle Feld, das sich auf der indonesischen Insel auftut, auf der die beiden Musiker leben. International ausgewaschenen Techno und House gibt es hier an jeder Ecke, auch Kasimyn spielt ihn in den von Weissen geführten Beachclubs den Tourist:innen vor, die in pandemiefreien Jahren zu Millionen nach Bali strömen – nur fürs Geld, betont der DJ. «Diese Clubs fühlen sich für uns an, als würden wir in der deutschen Botschaft tanzen – hier gibt es für uns keinen Raum, uns auszudrücken, es geht nur darum, die Tourist:innen zu bedienen.»

Zum Tier werden

Zu Hause fühlen sich Kasimyn und Harem in der lokalen Punk- und Metalszene. In dieser winzigen Nische, wo bis zu diesem Zeitpunkt nur Gitarrenmusik gespielt wurde, traten sie ab 2018 als Gabber Modus Operandi auf, bevor sie von einigen der angesagtesten Clubs und Festivals gebucht wurden. Und natürlich hat das musikalisch auch etwas mit der ultraschnellen Clubmusik aus den Niederlanden zu tun, aber die beiden denken ihre Musik nicht von historischen Herleitungen oder subversiven Eingriffen her. «Wir sind Internetkids, wir wissen, was es auf der Welt so alles gibt», sagt Kasimyn. «Was sie zum Beispiel in Uganda für grossartige Sachen machen. Aber es ist etwas ganz anderes, diese Musik auch live im Raum zu erleben.»

Wichtiger als die diversen Quellen, die sie beeinflussen, sind darum die latenten Verbindungen quer durch Geografien und Kulturen, die in ihrer Musik zum Vorschein kommen: zwischen auf Bali praktizierten Tänzen, während derer die Leute sich in Tiere verwandeln sollen, zu sehen im Videoclip zu ihrem Song «Dosa Besar», und der Trance, die die Ravekultur sucht; zwischen der hohen Geschwindigkeit und Lautstärke im indonesischen Gamelan, soziologisch am ehesten vergleichbar mit europäischer klassischer Musik, und im Black Metal. Harem veranschaulicht: «Auf Bali kannst du ein Dorf besuchen, wo sie wunderschön singen, wie es die Touristen hören wollen, aber wenn du nachts um zwei gehst, wenn alle schon in Trance sind, klingt der Gesang wie im Black Metal – obwohl die Sänger wohl nie davon gehört haben.» Direkt beeinflusst haben sich diese beiden Gesangsformen bestimmt nicht, aber werden da vielleicht ähnliche Geister beschworen?

Tropische Orchester

Die beiden sind sich einig, dass sie solche Verbindungen nie hätten erschliessen können, gäbe es nicht ein anderes Duo aus Indonesien, das dieses Jahr ebenfalls in Düdingen aufgetreten ist: Senyawa. Gleichzeitig urtümlich und avantgardistisch mutet deren Musik an, kommt einzig aus einem ungemein eindringlichen, vielschichtigen Schreigesang und einem rudimentären, mit Schlägern gespielten Saiteninstrument. Wie Senyawa so selbstverständlich in lokalen Sprachen sängen, sich damit der Anbiederung an den Westen verweigerten, auch der westlich geprägten Erwartung an bestimmte Genres, habe ihnen Welten erschlossen – aber vor allem: dass Senyawa laut spielen.

Die Musik von Gabber Modus Operandi kann nur laut sein, dieser Grundsatz schlägt Wurzeln in alle Richtungen. Das beginnt beim auf Bali gespielten Gamelan, einer Art tropischer Orchestermusik, die von bis zu dreissig Leuten unter freiem Himmel und darum laut gespielt wird, und schliesst nahtlos an bei Gabber, Punk und Metal. «Wir haben die DNA der Lautstärke in uns», sagt Kasimyn. Alles sei laut in Indonesien: ihre schreienden Mütter, der Lärm der Megastädte, durch Lautsprecher schallende muslimische Gebete. Die Verstärkung des Sounds ist hier weniger eine ästhetische Entscheidung als ein Schlüssel zu einem Bewusstseinszustand. Während man ihre Musik auch auf zwei faszinierenden Studioalben – «Puxxximaxxx» (2018) und «Hoxxxya» (2019) – hören kann, wird nur live wirklich erlebbar, wie erhebend diese gerade in der Überwältigung wirken kann – obwohl sie mit all ihren scharfen Kanten und garstigen Flächen zunächst nicht unbedingt freundlich klingt. Aber die Freude und der Tanz beziehen hier gerade auch aus der Düsternis ihre Kraft. Ican Harem erzählt von Todesritualen in seinem Heimatdorf auf Sumatra, wo sie die Leiche auf den Boden legen und alle rundherum tanzen. Und Kasimyn schaut verschmitzt drein und erklärt das indonesische Memento mori: «Du kannst leicht sterben in Indonesien: Tsunami, Erdbeben, giftige Schlangen, Vulkane. Darum beweinen wir den Tod nicht, wir feiern ihn.»