Pop: Sorglos unter griechischen Girlanden
Achtung, Sommerhit! Wobei, so eine unverschämt entspannte Sommerplatte hat schon fast etwas Obszönes, in Zeiten von Klimakrise und anhaltenden Hitzewarnungen. Erst recht, wenn ein Ausflug aufs Meer mit einer so aufreizend lässig dahergepfiffenen Hookline eingeleitet wird, wie das Ʃtella auf ihrem neuen Album tut. Wohin die Reise geht, wisse niemand, singt sie dann, aber was sind das für Namen, die sie später im Refrain aufzählt? Caroline, Margaret, Julius, Frederick: Ach so, lauter Überlebende einer historischen Schiffskatastrophe. Der Song heisst schliesslich «Titanic», die ganze mediterrane Leichtigkeit, die er verströmt, steuert geradewegs auf den Untergang zu.
Unbeschwert pfeifend dem grossen Schiffbruch entgegen: Einen stimmigeren Schlager für den Sommer 2022 kann man sich gar nicht erträumen, da können sie am Ballermann noch lange «geiler» auf einen Frauennamen reimen.
Wir sind hier allein schon geografisch fernab von Malle. Stella Chronopoulo ist am östlichen Mittelmeer daheim, doch so direkt hörte man das ihrem bislang etwas austauschbar kosmopolitischen Indiepop früher nicht an. Jetzt, auf dem dritten Album, ihrem ersten beim geschichtsträchtigen US-Label Sub Pop, ist das anders. «Up and Away» legt los mit einer Orgel wie von der griechischen Landdisco, später gesellen sich immer wieder mal Bouzouki und gelegentlich auch die orientalische Zither Kanun dazu. Ʃtella dockt diesmal bei Folk und Schlager der Generation ihrer Eltern an; dazu hat sie sich den britischen Produzenten Tom Calvert alias Redinho ins Boot geholt. Er hat mit ihr einen sparsam instrumentierten Vintagesound entwickelt, der sich nun samt griechischen Girlanden ungemein luftig um ihre Stimme schmiegt.
Ʃtellas Gesang bleibt dabei stets cool, und dort, wo sie fast etwas blasiert singt, klingt sie wie Sade nach einem Austeritätsprogramm. Nicht zu überhören ist das in «The Truth Is», wo sie das ambivalente Wohlbefinden nach einer Trennung umkreist: Ja, es geht ihr gut, aber sie vermisst dich halt doch immer noch jede Nacht. Dazu dieser zurückgelehnt minimalistische Funk, und nur ganz zum Schluss flattert mit der Bouzouki noch etwas folkloristisches Kolorit in den Raum. Das dazugehörige Video zeigt einen Scheidungsprozess, bei dem sich die beiden Parteien, Mann und Frau, in einer imaginären Verdoppelung ihrer selbst nochmals umtanzen wie im Traum – vorn am Pult neben der Richterin sitzt Ʃtella als Gerichtsschreiberin.
Mag sein, dass dieser spartanische Luxuspop mit seiner Hipster-Patina einige kleinbürgerliche Fantasien von früher bedient, als das Mittelmeer noch touristische Verheissung war, nicht Massengrab. «Up and Away» klingt nach mediterranem Flair wie aus dem Brockenhaus, eine semiexotische Trouvaille aus einer Kiste mit alten Schallplatten, gefunden auf Spotify. Auf und davon, aber nach 31 Minuten ist die Reise auch schon wieder um. Noch einmal von vorn, immer wieder. Da vorn, der Eisberg!
Ʃtella: Up and Away. Sub Pop / Irascible 2022