Anschlag in Moskau: Aufgeklärt in nur 48 Stunden

Nr. 34 –

Der Tod der 29-jährigen ultrarechten Propagandistin Darja Dugina hat etwas mit dem Krieg des russischen Regimes gegen die Ukraine zu tun. Nur was?

Darja Duginas Beerdigung in Moskau am 23. August
Darja Duginas Beerdigung in Moskau am 23. August. Foto: Jewgenij Bugubaew, Getty

Am Abend des 20. August explodierte unter dem Fahrersitz eines Toyota Landcruiser Prado eine Bombe. Darja Dugina, die Person am Steuer des Geländewagens, kam bei dem Anschlag ums Leben. Ort des Geschehens war eine Strasse unweit eines in idyllischer Landschaft gelegenen ehemaligen Adelsguts westlich von Moskau. Keine 48 Stunden später galt der Fall bereits als gelöst – und Dugina erhielt post mortem per Präsidentendekret einen Tapferkeitsorden verpasst.

«Russland – ein Land der Möglichkeiten»: Der beliebte Slogan prangte einst an zahlreichen Werbetafeln in der russischen Hauptstadt, von denen heute überdimensionale Armeehelden auf die Passant:innen blicken. In Kriegszeiten erhält der Spruch eine besondere Brisanz – wie im Fall von Darja Dugina: Zwischen dem Leben als selbsternannte Kämpferin für eine expansive «russische Welt» und der Weiterexistenz als Märtyrerin lag nur ein kurzer Augenblick. Denn als solche stellte Alexander Geljewitsch Dugin, Vordenker und Anführer der rechten «Eurasischen Bewegung», seine 29-jährige Tochter und unermüdliche Propagandistin seiner Ideen an der Beerdigungsfeier am Dienstag dar. «Sie starb für Russland, sie starb an der Front, und die Front ist hier», sprach er zu den Versammelten.

Wenn Dugin überhaupt in einem Punkt recht hat, dann in diesem: Duginas Tod hat etwas mit dem Krieg zu tun, den Russland gegen die Ukraine führt. Nur was? Die eilfertig präsentierten Ermittlungsergebnisse geben darauf jedenfalls keine zufriedenstellende Antwort. Womöglich galt der Anschlag auch dem Vater selbst. Seit 2014 kursiert ein Video, in dem er zum «Töten, töten und töten!» aufruft und die benachbarte Ukraine meint.

Am vergangenen Samstag hatten Vater und Tochter auf dem erwähnten Landgut an einem Festival mit dem Titel «Tradition» teilgenommen. Beide fuhren zusammen in Duginas Toyota hin, auf dem Rückweg sass ihr Vater in einem anderen Wagen. Dugin gehört zwar zu den medial präsenten Hardlinern, die das Vorgehen des Kreml gegen die Ukraine als «zu soft» kritisieren. Doch im Westen wird sein politischer Einfluss auf die russische Führungsriege notorisch überschätzt. Vielleicht stiess daher der Trubel um den Rechtsintellektuellen im Präsidialamt auf Missmut. Jedenfalls liess die russische Nachrichtenagentur Tass mit Bezug auf eine Quelle im Sicherheitsapparat verlauten, dass sich die Täter:innen keineswegs für den Vater, sondern einzig für die Alltagsabläufe der Tochter interessiert hätten.

Die Rolle der Auftragsmörderin

Nach offizieller Lesart stehen ukrainische Sicherheitsdienste hinter dem Anschlag, was die Führung in Kyjiw wiederum dementierte. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB präsentierte die 1979 geborene ukrainische Staatsbürgerin Natalja Wowk mitsamt einem passenden Dienstausweis der ukrainischen Nationalgarde in der Rolle der Auftragsmörderin. Am 23. Juli soll sie mit ihrer Tochter nach Russland ein- und nach der Tat ohne Probleme mit ihrem recht auffälligen Mini Cooper über die Grenze nach Estland ausgereist sein, wobei sie von verschiedenen Nummernschildern Gebrauch gemacht habe. Entsprechende Videoaufnahmen sollen diese These untermauern. Wowks Name taucht zudem in einer russischen Liste mit ukrainischen Nationalist:innen auf, wo sie als Angehörige des Asow-Regiments geführt wird.

Das Ermittlungskomitee der Staatsanwaltschaft wollte derweil die Ergebnisse der FSB-Untersuchung nicht so stehen lassen und verkündete, weitere Personen könnten an der Vorbereitung und der Ausübung des Anschlags beteiligt gewesen sein. Streng genommen kämen dafür etliche Kreise in Betracht – nicht zuletzt die russischen Geheimdienste selbst. Dugina, die im Fernsehen präsente Vertreterin einer rechtspatriotischen Jugendgeneration und Betreiberin des Telegram-Kanals «Platonova Z», war ohne Security unterwegs und somit ein leichtes Ziel.

Nachdem alle nur denkbaren verschwörungstheoretischen Versionen über die Tat und ihre Hintergründe auf zahlreichen Blogs und auf Youtube ihre Zuhörer:innenschaft gefunden hatten, bekannte sich eine gewisse Nationalrepublikanische Armee (NRA) zum Anschlag. Auf Telegram wurde deren Manifest veröffentlicht, und der – vor Jahren wegen Strafverfolgung in die Ukraine geflüchtete – ehemalige russische Dumaabgeordnete Ilja Ponomarjow verlas es in seiner Youtube-Sendung «Der Februarmorgen». Das Manifest sei ihm zugespielt worden, erklärte er. Schon seit Monaten halte er Kontakt zu Angehörigen der zuvor nirgends genannten Gruppierung. Ponomarjow rief alle Widerständigen in Russland auf, sich ihr anzuschliessen.

Schenkt man dem Text Glauben, haben sich russische Aktivist:innen, Militärs und Politiker:innen in der NRA zusammengefunden, um mit Partisan:innenmethoden für ein freies Russland zu kämpfen. Der Haken daran: Die Authentizität des Schreibens lässt sich schlichtweg nicht überprüfen.

Nicht mehr als ein Phantom

Zwar gibt es seit Ende Februar in Russland militante Aktionen gegen den Krieg, doch diese tragen als Sabotageakte eine völlig andere Handschrift. So flogen etwa seit Kriegsbeginn in verschiedenen Landesteilen Brandsätze auf über zwei Dutzend Rekrutierungszentren der Armee. Soweit bekannt, stehen hinter diesen Antikriegsaktionen Angehörige völlig unterschiedlicher politischer Spektren – von linken und anarchistischen Strömungen bis hin zur extremen Rechten. Manche gingen allein vor, andere stünden in Verbindung zu organisierten Gruppen.

Eine Reihe Tatverdächtiger sitzt in Haft, andere wurden bislang nicht aufgegriffen, sodass die Informationen über die konkreten Hintergründe recht dürftig ausfallen. Im April erfolgte die Verhaftung mehrerer zuvor straffällig gewordener Neonazis, denen die Planung eines Anschlags auf den TV-Propagandisten Wladimir Solowjow vorgeworfen wird. Auch sollen sie in Aktionen gegen Armeebüros verwickelt sein beziehungsweise andere durch Geldversprechen dazu animiert haben.

Seit Februar häufen sich ausserdem Zwischenfälle bei der russischen Eisenbahn, insbesondere in Grenznähe zur Ukraine – von Gleis- und Brückenbeschädigungen bis hin zu Zugentgleisungen. Die Leitung der Bahn führt dies im Wesentlichen auf technische Missstände zurück. Die Sicherheitsbehörden ermitteln zwar, präsentieren aber kaum Ergebnisse.

Das Rechercheportal «The Insider» nahm indes Kontakt zu einer Gruppe auf, die sich «Kampforganisation der Anarchokommunisten» nennt, kurz Boak. Mit simplen Methoden hätten sie nach eigenen Angaben Gleisverbindungen gelöst, um Militärtransporte aufzuhalten. Inspirieren liessen sie sich dabei von belarusischen Partisan:innen, die im Frühjahr durch Sabotageakte dafür gesorgt hatten, dass Züge mit Militärgütern tagelang stillstanden.

Welche Motive und Interessen demgegenüber hinter dem Anschlag auf Darja Dugina stehen, wird wohl bis auf Weiteres unklar bleiben. Die NRA scheint bisher nicht mehr als ein Phantom zu sein.