Durch den Monat mit Köbi Gantenbein (Teil 1) : Was läuft schief mit der Raumplanung?

Nr. 40 –

Der ehemalige «Hochparterre»-Chefredaktor Köbi Gantenbein kritisiert die Energieausbaupläne des Parlaments und erinnert daran, wie lange die Solarenergie nicht ernst genommen wurde. Seine Leidenschaft für die Landschaft begann, als er als Kind auf der Alp half.

Köbi Gantenbein vor seinem Hausberg, dem Regitzer Spitz
«Es wird gebaut, als würde morgen der Beton verboten»: Köbi Gantenbein vor seinem Hausberg, dem Regitzer Spitz.

WOZ: Köbi Gantenbein, warum ist Ihnen Landschaft wichtig?

Köbi Gantenbein: Wenn ich meine Biografie anschaue, hat das ganz früh angefangen. Ich erfuhr die Landschaft zuerst über die Arbeit, ein typischer Berglerzugang. Ich habe als Bub im Prättigau einem Senn geholfen, dem Öhi Andris, einem Onkel meiner Mutter. Später war ich in den Sommerferien Gehilfe des Gärtners Louis Kohler in Malans. Landschaft ist wichtig für mich geworden, um mich zurechtzufinden, um Heimat zu haben.

Sie beobachten die Schweizer Landschaftsentwicklung seit Jahrzehnten. Letzte Woche ist eine Parlamentssession zu Ende gegangen, die zeigte: Viele Bürgerliche sind bereit, für einen schnellen Ausbau von Energieanlagen den Landschaftsschutz zu opfern. Was ist Ihr Fazit?

Es hat mich erstaunt, wie unverfroren Ständeräte die Biotope und die geschützten Landschaften für die Energieproduktion zur Disposition stellen wollten. Und in welcher Hektik auch der Nationalrat vielen Zumutungen folgte. Dieser wilde Ritt wird wohl nicht geraten, denn das politische System in der Schweiz wird die Verfassungsbrüche kaum tolerieren. Aufgeregtheiten werden meistens ausgebremst. Was nicht nur gut ist, denn wir sollten endlich zu einer vernünftigen Energiepolitik kommen. Es ist den Frauen im Bundesrat zu verdanken, dass nach der AKW-Katastrophe von Fukushima die Energiestrategie 2050 eine Mehrheit gefunden hat. Die Atomkraftwerkgeschichte der Schweiz ist nun geschrieben. Die Vorschläge für andere Wege sind schon lange da. Auch wenn die Hektiker so tun, als hätten sie das Gelbe vom Ei erfunden.

Welche Vorschläge meinen Sie?

Schon vor mehr als vierzig Jahren, als ich ein junger Journalist war, haben die grünen Bewegungen darauf gepocht, dass es nicht ewig so weitergehen kann mit dem Energiekonsum. Sparen ist grad so wichtig wie mehr erneuerbare Energie produzieren. Schon in den achtziger Jahren gab es Aktivisten wie Gallus Cadonau, die sich gegen die grossen Wasserkraftprojekte auf der Greina und in der Val Madris wehrten und zeigten, wie ein Solarausbau in der Schweiz geschehen könnte. Das war nicht nur «Man sollte» und «Man müsste», Cadonau rechnete alles bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma durch. Aber die bürgerlichen Parteien und die Manager der Kraftwerksgesellschaften haben das belächelt – und auf Atomenergie gesetzt.

Landschaftsschutz ist etwas Emotionales – man kann Landschaft nicht in Kilowattstunden messen oder in Franken bewerten. Ist das ein Problem?

Das ist eine Herausforderung in einer Gesellschaft, die versucht, fast alles über den Geldwert zu regeln. Für mich gehört aber genau das zur Güte und Schönheit der Landschaft – wir können sie nicht nur in Geld bewerten. Eine Ingenieurin kann virtuos ausrechnen, wie viel ein Kraftwerk hergibt, aber es gibt in der Schweiz viele Leute und Institutionen, die sich mit mir dieser Logik entgegenstellen. Vielen ist Landschaft emotional und kulturell etwas wert. Vorlagen im Bund und in den Kantonen, die Landschaft schützen, erreichen immer wieder gute Zustimmung.

Das tönt recht optimistisch. Am Landschaftskongress im September klangen Sie pessimistisch: «Landschaft, o Landschaft, guet Nacht», haben Sie da gesungen.

Die aktuelle Entwicklung stimmt mich pessimistisch – wie jetzt Politiker das «Momentum» nutzen, um endlich mit der Balance von Nutzen und Schützen aufzuräumen, auf die man bisher einigermassen achtete. Und dass es jetzt bis weit in links-grüne Kreise hinein salonfähig ist, ganze Täler, die gerade günstig scheinen, mit Solarkraftwerken zuzubauen. Ohne die Leute zu fragen, die vielleicht noch anderes verstehen als nur die Worte «Kilowattstunde – hoch subventioniert». Pessimistisch stimmt mich auch, wie zerfahren und zergliedert und zerbraucht die Siedlungslandschaften sind, in denen wir uns täglich bewegen.

Die Raumplanung hat einen hohen Stellenwert, es gibt Inventare für schützenswerte Landschaften und Ortsbilder. Was also läuft schief?

Das Subjekt der neueren Schweizer Geschichte ist der Konsument, die Konsumentin. Wir verbrauchen Boden, als gäbe es immer mehr. Immerhin wird mit der Revision des Raumplanungsgesetzes von 2013 die Ausfransung der Dörfer aufhören. Die Gemeinden müssen zurückzonen und Raum fürs Bauen im Innern finden.

Merkt man im Raum schon etwas von der Revision?

Bauzonen können nicht mehr nach Belieben ausgedehnt werden. Da ist schon mehr Druck da, das merke ich auch hier in Fläsch. Aber es ist ein langer Prozess. Und das zweite Problem der Schweizer Raumentwicklung ist ungelöst: das Bauen ausserhalb der Bauzonen. Da wird gebaut, als würde morgen der Beton verboten, was dem Grundsatz der Raumplanung, der Trennung von Bauzonen und Nichtbauzonen, völlig widerspricht. Darum geht es in der zweiten Etappe der Revision, an der man schon jahrelang herumknetet. Ein Knorz, der mich nicht grad hoffnungsfroh stimmt.

Köbi Gantenbein (66) war bis Sommer dieses Jahres Verleger und Chefredaktor der Architekturzeitschrift «Hochparterre». Er stammt aus dem Bündner Dorf Malans und wohnt heute wieder ganz in der Nähe, in Fläsch.