Comic: Den Horror überstehen
Er habe Mühe mit dem Begriff «Widerstand», sagt David Schaffer, ein Überlebender – was soll das Wort in Zusammenhang mit dem Holocaust überhaupt heissen? Schliesslich sei, wer allzu offenen Widerstand geleistet habe, sofort getötet worden. «Aber viele leisteten Widerstand, indem sie die Regeln missachteten.» Diese leisere Form war es, die ihn und seine Familie am Ende überleben liess: «Weglaufen war Widerstand. Nahrung finden war Widerstand. Den Horror zu überstehen, war Widerstand.» Schaffer ist einer von vier Holocaustüberlebenden, deren Geschichte «Aber ich lebe» illustriert. Drei Comicautor:innen erzählen jeweils eine von ihnen – zwei der Überlebenden sind Brüder, die gemeinsam berichten.
Sie alle waren Kinder, der älteste acht, die zwei jüngsten zwei Jahre alt, als 1939 der Krieg ausbrach. So ist ihr Erinnern oft sehr bildhaft, einige Details sehr ausgeprägt noch da, während anderes verschwimmt. Eine gute Anlage also, um die schrecklichen Erlebnisse als Graphic Novel zu verarbeiten: Text und Bild helfen sich gegenseitig, die Grausamkeiten im KZ, den Hunger und die Gewalt auf der Flucht darzustellen. In die Geschichten fliessen nicht nur Erinnerungen, sondern auch das Jetzt: wie diese inzwischen Hochbetagten ihr Leben meistern, noch immer verfolgt von dem, was ihnen angetan wurde. Etwa Emmie Arbel, die bis heute Menschenansammlungen meidet und im Café nur mit dem Rücken zur Wand sitzen kann.
Im Anhang, ebenfalls in Comicform, sprechen die Autor:innen Barbara Yelin, Miriam Libicki und Gilad Seliktar darüber, dass es ihnen auch darum gegangen sei, die beeindruckende Stärke ihrer Protagonist:innen, deren Humor und Überlebenswillen darzustellen. «Aber ich lebe» ist auch deswegen eine eindrückliche Geschichtensammlung. Und gerade jetzt, da bald die letzten Überlebenden verstummen, ein wichtiger Beitrag, das Erinnern zu erhalten.
Barbara Yelin, Miriam Libicki, Gilad Seliktar: «Aber ich lebe. Vier Kinder überleben den Holocaust». Aus dem Englischen von Rita Seuss. Herausgegeben von Charlotte Schallié. Verlag C. H. Beck. München 2022. 175 Seiten. 40 Franken.