Kollektivbeiz Schwarzer Engel: Rettung über Nacht

Nr. 44 –

Vor einer Woche stand der «Schwarze Engel» in St. Gallen kurz vor dem Konkurs. Bereits 24 Stunden später war das Geld zur Rettung der Beiz gesammelt. Die Geschichte einer erstaunlichen Solidarität.

«Wir stehen unmittelbar vor der Schliessung und brauchen eure Hilfe!», teilte das Kollektiv der St. Galler Alternativbeiz Schwarzer Engel am Mittwoch letzter Woche auf Instagram mit. Zwei Tage später, an einem warmen Herbstabend, sitzt Kollektivmitglied Peter Wild müde, aber entspannt im Gartenrestaurant. «Überwältigend», sagt er. Bereits innerhalb von 24 Stunden seien mehr als die zur Konkursabwendung nötigen 30 000 Franken eingetroffen.

Nachwehen der Pandemie

Seit der Gründung des Lokals 1986 haben sich im «Engel» unzählige Menschen getroffen; haben gegessen, gefeiert und getanzt, gestritten, fabuliert und diskutiert. Nach mehreren Wechseln wirtet heute ein junges, elfköpfiges Kollektiv. Wild, gelernter Schreiner, ist seit vier Jahren dabei. Noch immer gilt Lohngleichheit. Mit einem Stundenlohn von 19.50 Franken liegt man knapp über dem Mindestlohn des branchengültigen Gesamtarbeitsvertrags. Streng genommen, so Wild, seien die Löhne jedoch schon seit Monaten tiefer; es würden für die gleiche Arbeit weniger Stunden notiert, um so die Kosten zu reduzieren.

Eine Spenderin sagte, sie sei selbst zwar nie da, «aber es braucht euch».

Nicht dass der «Engel» vor der Pandemie floriert hätte. Doch bis zum ersten Lockdown im März 2020 habe es recht gut ausgesehen, sagt Wild. Und auch diese Klippe schien man zunächst gut zu meistern, wobei der Schein etwas getrogen habe, da bereits erste Kurzarbeitsgelder geflossen seien. Dann kam ein guter Sommer, weil die Leute kaum ins Ausland gingen und viel Zeit in der Gartenbeiz verbrachten. Richtig schwierig wurde es mit dem zweiten Lockdown ab Dezember 2020. Zwar konnte man auch da einen Teil der Ausfälle mit Kurzarbeit und Härtefallgeldern abfedern. Trotz moderater Mietkosten konnte der Betrieb die Ausgaben aber kaum noch decken. Ab dem Winter 2020/21 führten Schliessung, Maskenpflicht, geforderte Tischabstände und Zertifikatspflicht dazu, dass immer weniger Gäste kamen.

Aus der Not bot man freitags und samstags Take-away-Essen an. Als aber immer mehr benachbarte Lokale dasselbe taten, entwickelte sich der kleine Platz vor dem «Engel» zu einer Art Botellón-Piazzetta, sodass es zeitweise kaum ein Durchkommen gab – das Kollektiv entschied, das Lokal von Donnerstag bis Samstag schon um 22 Uhr zu schliessen. Mit der Zertifikatspflicht war auch der folgende Winter, 2021/22, ein Verlustgeschäft. «Ende Januar 2022», so Wild, «sahen wir, dass wir uns kein Polster für den Sommer mehr anfressen konnten.»

Schon Ende Juni dieses Jahres ergab die Jahresabrechnung ein grosses Defizit: 30 000 Franken aus vorherigen Jahren plus 45 000 von Juni 2021 bis Juli 2022. Damit war das Eigenkapital der Genossenschaft fast aufgebraucht. «Zu diesem Zeitpunkt», sagt Wild, «glaubten wir noch, eine Überschuldung verhindern zu können, indem wir die Mietschulden in ein Darlehen umwandelten.» Bis am Mittwoch letzter Woche klar wurde: Bleiben die Schulden so hoch, muss der Betrieb Konkurs anmelden.

Vom Exgast bis zum «Rümpeltum»

Und nun also: kollektive Erleichterung. Und Dankbarkeit: Bis am Montag sind nun gar rund 150 000 Franken an Spenden und neuen Anteilscheinen zusammengekommen. Die Soforthilfe kommt von allen Seiten: vom einfachen Stammgast bis zur Sympathisantin, die Anteilscheine im Wert von 5000 Franken kaufte; vom ehemaligen Besucher, dem es am Herzen liegt, dass auch seine Enkel:innen «in dreissig Jahren noch da sein können, so wie ich vor dreissig Jahren da war» – bis hin zur Spenderin, die 500 Franken auf den Tisch legte und sagte, sie selbst sei zwar nie da, «aber es braucht euch». Benachbarte Kulturlokale wie das «Palace» oder die «Grabenhalle» reagierten sogleich mit Solidaritätspartys. Das Punklokal Rümpeltum rief sein Publikum dazu auf, sein Bier für einmal im «Engel» zu trinken. Bands boten an, gratis zu spielen, und auch ausserregionale Kollektivbeizen wie der «Widder» in Winterthur boten prompt ihre Unterstützung an.

Alles gut also? Bis auf Weiteres. «Langfristig», sagt Wild, «müssen wir über die Bücher.» Im Moment bestehe keine Überschuldungsgefahr mehr.* Nun gehe es darum zu eruieren, wo Fehler passiert seien – um weiterzuführen, was heute so nötig erscheint wie eh und je: eine «gute Stube» im öffentlichen Raum.

* Korrigenda vom 7. November 2022: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion stand, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Betrieb erneut verschulden müsse. Das ist nun aber dank dem hohen Spendenbetrag und der Anzahl neuer Anteilscheine nicht mehr der Fall.