Aufrüstung: Das bürgerliche Rückzugsgefecht
Anfang Jahr beschlossen die Rechten im Parlament eine drastische Erhöhung der Armeeausgaben. Nun krebsen ausgerechnet Ständeräte von Verteidigungsministerin Viola Amherds Mitte-Partei zurück.
Geht der Schweizer Aufrüstungsoffensive die Luft aus, noch bevor sie richtig begonnen hat? Im Frühjahr hatten bürgerliche Kräfte unter Anleitung von SVP und FDP-Präsident Thierry Burkart unter dem Eindruck des Angriffs auf die Ukraine eine beispiellose Erhöhung des Armeebudgets durchgedrückt – von aktuell fünf auf neun Milliarden Franken im Jahr 2030. Künftig sollte ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Armee ausgegeben werden. Und nun, ein halbes Jahr später, steht dieser Geldsegen bereits wieder zur Disposition.
Ueli Maurer zweifelt an, ob die Armee das viele Geld überhaupt sinnvoll ausgeben kann.
Der Grund dafür ist im Finanzplan des Bundes für die kommenden Jahre zu finden. Schliesst das nächste Jahr gemäss Budget noch einigermassen ausgeglichen ab, steigt der Fehlbetrag ab 2024 stark an. 2025 sollen gemäss Prognosen des Finanzdepartements drei Milliarden Franken in der Kasse fehlen. Einer der Haupttreiber dafür ist laut dem Departement das stark wachsende Rüstungsbudget: Durchschnittlich 500 Millionen Franken kommen Jahr für Jahr hinzu. Der scheidende SVP-Finanzminister Ueli Maurer sagt seit Wochen, dass diese Kosten kaum zu bewältigen seien. Darüber hinaus zweifelt Maurer an, dass die Armee das viele Geld überhaupt sinnvoll ausgeben kann.
Wenig Verständnis in Mitte-Partei
Doch abgesehen von Maurer stand der bürgerliche Block bislang geschlossen hinter der Rüstungsoffensive. Ausgerechnet in der Mitte-Partei von Verteidigungsministerin Viola Amherd wachsen jetzt aber Zweifel, ob sich die Erhöhung noch rechtfertigen lässt. Um die in der Verfassung festgeschriebene Schuldenbremse einzuhalten, dürften massive Kürzungen im Budget für die kommenden Jahre nötig werden. Verhandelt werden diese in den Finanzkommissionen der beiden Räte diese und kommende Woche. «Es ist klar, dass wir uns einen so grossen Kostenblock wie die Armeeausgaben nochmals genau anschauen», erklärt der St. Galler Mitte-Ständerat Benedikt Würth auf Anfrage. Parteikollege Peter Hegglin, Ständerat aus dem Kanton Zug, sagt: «Für die Finanzplanperiode ab 2024 dürften im Rahmen von Sparprogrammen alle Aufgabenbereiche, auch die Zusatzausgaben für die Armee, einer Prüfung unterzogen werden.»
Hegglin wie Würth sind Mitglieder der Finanzkommission. Vor allem unter den Mitte-Vertretern in der Kommission soll das Unverständnis gross gewesen sein, als bürgerliche Sicherheitspolitiker:innen die zusätzlichen Armeemilliarden entgegen ihren eigenen finanzpolitischen Grundsätzen im Mai durchsetzten. Nun scheint die Zeit für Korrekturen gekommen. Geprüft werden dem Vernehmen nach drei Varianten, um die Budgeterhöhung zu begrenzen. Das Ziel ist es dabei stets, das Armeebudget auf sieben Milliarden Franken jährlich zu deckeln.
In der einen Variante würde das Budget mit Verweis auf die schwierige Finanzlage frühestens ab 2027 erhöht. In Variante zwei würden die Vollkosten statt die tieferen, vom VBS ausgewiesenen Kosten der Armee auf ein Prozent des BIP erhöht. Nicht eingerechnet ist im VBS-Budget etwa der Lohnersatz für Angestellte, die Dienst leisten müssen, der rund 700 Millionen Franken pro Jahr kostet. Wie viele Leistungen staatliche Stellen für die Armee total aufwerfen, weiss das VBS nicht. Eine Gesamtanalyse sei sehr aufwendig, antwortete das Departement auf eine Anfrage des grünen Nationalrats Fabien Fivaz. Der konzernnahe Thinktank Avenir Suisse beziffert die gesamten Ausgaben auf acht Milliarden Franken.
Variante drei schliesslich nimmt für die verlangten Armeeausgaben von einem Prozent des BIP das Jahr 2023 als Ausgangspunkt statt wie vorgesehen das Jahr 2030.
Industriezölle noch nicht abschaffen
Finanzpolitikerin Sarah Wyss, die für die SP im Nationalrat auf eine Senkung des Rüstungswachstums hinarbeitet, sagt: «Schaffen wir es nicht, die Armeeausgaben zu begrenzen, werden andere Bereiche massiv unter Druck geraten.» 1,3 Milliarden Franken kostet den Bund etwa die von der SP verlangte und vom Nationalrat beschlossene zusätzliche Verbilligung von Krankenkassenprämien. Derzeit liegt das Geschäft beim Ständerat. Kürzungen drohen auch bei der Entwicklungshilfe und den Bildungs- und Forschungsausgaben.
Eine schnelle Aufbesserung der Staatsfinanzen würde dagegen erreicht, indem die bereits beschlossene Abschaffung der Industriezölle verschoben würde. 600 Millionen Franken jährlich spülen diese Zölle in die Bundeskasse. Maurer selbst hat nun angeregt, mit der Abschaffung so lange zu warten, bis das neue Zollgesetz 2026 oder 2027 in Kraft tritt.
Ohnehin sind die ganzen oben erwähnten Sparmassnahmenn nicht wirklich nötig. Finanziell steht die Schweiz trotz der prognostizierten roten Zahlen weiterhin prächtig da. Die Schuldenquote wird laut Berechnungen des Finanzdepartements trotz des erwarteten Defizits sogar abnehmen, weil die Wirtschaftsleistung weiter wächst. Im Vergleich mit den anderen OECD-Staaten gibt es auch künftig kaum ein anderes Land, das einen so tiefen Schuldenstand hat – und so wenig Geld für das Gemeinwesen aufwendet.