Armeefinanzen: Gier im Bunker, Gehorsam in Bern

Nr. 8 –

Die Armeeführung nutzt die Gunst der Stunde und verlangt Dutzende Milliarden Franken für die Aufrüstung. Die Politik sollte sich davon nicht beirren lassen und stattdessen eine grundsätzliche Debatte über Sicherheit führen.

Zwei Wochen lang verbreitete Armeechef Thomas Süssli sein Horrorszenario auf allen Kanälen: Die Zukunft des Heeres sei wegen «Liquiditätsengpässen» existenziell bedroht. Schon in wenigen Jahren stehe die Armee ohne Artillerie und Kampfpanzer da.

Mittlerweile ist diese Darstellung in sich zusammengefallen. Sowohl die Finanzkommission wie auch die sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats haben sich in den letzten Tagen die Finanzlage genau angeschaut; nicht zuletzt gestützt auf Einordnungen der Eidgenössischen Finanzkontrolle. Ihr Fazit: Es gibt überhaupt «kein Finanzloch und keinen Liquiditätsengpass», die Armee kann «allen vertraglichen Verpflichtungen für die nächsten Jahre nachkommen».

Täuschungsmanöver des Bankers?

Es ist unwahrscheinlich, dass der ehemals hochrangige Banker Süssli nicht weiss, was ein Liquiditätsengpass ist, nämlich fehlende finanzielle Mittel, um Zahlungsverpflichtungen fristgerecht zu erfüllen. Plausibler ist, dass der Armeechef die Finanzlage bewusst drastischer darstellte, als sie tatsächlich ist – um Druck auf die Politik auszuüben, die Armeeausgaben noch weiter zu erhöhen als ohnehin schon. Die beiden Kommissionen haben die Kommunikation der Armee und des Verteidigungsdepartements unter Vorsteherin Viola Amherd (Die Mitte) denn auch deutlich kritisiert.

Doch Konsequenzen, gerade auch personelle, für das Täuschungsmanöver – oder die Stümperhaftigkeit – drohen der Armee nicht. Im Gegenteil: Letzte Woche beschloss der Bundesrat, die schwach gebundenen Ausgaben, die etwa die Landwirtschaft, die internationale Zusammenarbeit oder die Bildung betreffen, linear um 1,4 Prozent gegenüber dem Finanzplan 2025–2027 zu kürzen. Explizit von Kürzungen verschont bleibt nach dem Willen des Bundesrats einzig die Armee. Es ist ein Etappensieg in einem sich zuspitzenden Verteilkampf um öffentliche Gelder, der durch die rigorose Anwendung der Schuldenbremse durch Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) noch verschärft wird (siehe WOZ Nr. 5/24).

In diesem Verteilkampf um Bundesgelder hat die Armee einen wesentlichen Vorteil. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der vor zwei Jahren begann, hat das Militär noch weiter ins Zentrum der (sicherheits)politischen Debatten gerückt. Für die traditionell armeefreundlichen bürgerlichen Parteien scheint das Militär mittlerweile der unangefochtene Garant unserer Sicherheit zu sein. Dabei zeigt die aktuellste Risikoanalyse des Bundesamts für Bevölkerungsschutz auf, dass die grössten Bedrohungen für unsere Gesellschaft von Naturgefahren wie Hitzewellen und Erdbeben sowie von einer Pandemie oder einer Strommangellage ausgehen: Gefahren, in denen Waffen und hochgerüstete Truppen schlicht nutzlos sind.

Doch die Armee nutzt die Gunst der Stunde. So publizierte sie im vergangenen August das Schwarzbuch «Die Verteidigungsfähigkeit stärken» – ein weitgehender Forderungskatalog an die Adresse der Politik: Die Schweizer Armee soll «im Falle eines bewaffneten Angriffs» die Verteidigung aktiv in allen Wirkungsräumen führen, «am Boden, in der Luft, im Cyberraum, im elektromagnetischen Raum, im Weltraum und im Informationsraum».

Um dieses selbstdefinierte Ziel umsetzen zu können, fordert die Armee Investitionen von vierzig Milliarden Franken. Zu dieser Summe kämen dann noch sechzig Milliarden Betriebskosten obendrauf. So ist das übliche Verhältnis bei Rüstungsbeschaffungen. Hundert Milliarden Franken also, um in den nächsten zwanzig Jahren eine ­«Triple‑A-Armee» aufzubauen, wie das Armeechef Süssli nennt.

Sinnvolle Steilvorlage

Was die Armee will, liegt also auf dem Tisch. Und sie lobbyiert dafür auch mit fragwürdigen Mitteln, wie der aktuelle Fall zeigt. Entscheidend ist jedoch, wie die Politik darauf reagiert. Hier liegt das politische Versagen: Trotz eines engen Bundesbudgets und absehbarer Konflikte mit anderen Anspruchsgruppen stellen weder der Bundesrat noch das Parlament das Aufrüstungsdogma der Armee grundsätzlich infrage.

Das Schwarzbuch wäre nämlich eine durchaus sinnvolle Steilvorlage für eine grundlegende Debatte über die sicherheits- und geopolitische Rolle der Schweiz. Mit interessanten Fragen: Wie realistisch ist ein «bewaffneter Angriff» eigentlich für ein Land, das an die drei grossen Nato-Mitglieder Deutschland, Frankreich und Italien angrenzt, deren Militärausgaben zusammengenommen jene von Russland bei weitem übertreffen?

Und denkt die Schweizer Armee allen Ernstes, sie könne einen Gegner aufhalten, der die Nachbarländer und mit ihnen die ganze Nato überwunden hat? Muss die Rolle der Schweiz primär eine militärische sein, in der sie aus neutralitätsrechtlichen Gründen weitgehend auf sich selbst gestellt wäre? Kann die immense Summe von hundert Milliarden Franken nicht viel sinnvoller und nachhaltiger eingesetzt werden?

Es ist höchste Zeit, solchen Fragen nachzugehen. Dass man dagegen Horrorszenarien der Armeeführung nicht trauen kann, ist jetzt wenigstens offenkundig geworden.