Finanzloch bei der Armee: Amherds luftige Versprechen

Nr. 6 –

In der Welt von Verteidigungsministerin Viola Amherd war alles möglich: neue Kampfjets, mehr Aufrüstung und ein ausgeglichenes Budget. Diese Rechnung konnte nicht aufgehen.

Bundesrätin Viola Amherd und Armeechef Thomas Süssli im Juni 2021 auf dem Weg zur Medienkonferenz über den neuen Kampfjet F-35
«Es gibt Dutzende Ungereimtheiten, die aufgeklärt werden müssen»: Bundesrätin Viola Amherd und Armeechef Thomas Süssli (links) im Juni 2021 auf dem Weg zur Medienkonferenz über den neuen Kampfjet F-35. Foto: Alessandro della Valle, Keystone

Alles begann mit der Absage der «Air Spirit 2024»: So hätte der Grossanlass geheissen, mit dem die Luftwaffe auf dem Militärflugplatz Emmen diesen Sommer ihr 110-jähriges Bestehen feiern wollte. Doch Ende Januar wars abrupt vorbei mit dem Spirit: Die Armee kündigte die Absage der Show an.

Nach Recherchen von Radio SRF wurde klar, dass hinter der Absage ein veritables Finanzloch steckt, das Armeechef Thomas Süssli an einer eilig einberufenen Medienkonferenz wiederum als «Liquiditätsengpass» schönredete, während Verteidigungsministerin Viola Amherd abtauchte. Seither rätselt die Schweiz: Was ist bloss los mit den Armeefinanzen? Steckt man wirklich in der Misere, oder ist alles nur ein strategisches Manöver der Militärspitze, um an mehr Geld zu gelangen?

Diese Fragen stellen sich auch jene, die von Amts wegen eigentlich die Antwort kennen müssten: Sicherheits- und Finanzpolitiker:innen in Bern, die Jahr für Jahr die hochkomplexen Rüstungsgeschäfte und deren Finanzierungsmechanismen begutachten. Priska Seiler Graf (SP), Präsidentin der nationalrätlichen Sicherheitskommission, sagt: «Ob politisch links oder rechts: Wir reiben uns alle die Augen.» SVP-Sicherheitspolitiker Mauro Tuena bekundet: «Ich habe nur eines – viele Fragen.» Und Sarah Wyss (SP), Präsidentin der Finanzkommission im Nationalrat, hält fest: «Es gibt Dutzende Ungereimtheiten, die aufgeklärt werden müssen.»

Milliardenkosten weggezaubert

Insgesamt kann die Armee Beschaffungen im Wert von 1,4 Milliarden Franken erst später bezahlen. Welche genau, will das VBS nicht offenlegen. Es dürften Ratenzahlungen für die gekauften Kampfjets F-35 sein, die die Finanzen an den Anschlag bringen. So erklärte Gerhard Jakob, Chef Finanzen Verteidigung, an der Medienkonferenz mit dem Armeechef beiläufig: «Man sucht mit der US-Regierung Möglichkeiten, dass man Zahlungstranchen flexibler gestalten kann.» Doch die Armee verweigert jegliche Transparenz zum Abzahlungsmodell für den F-35. Auf Nachfrage schreibt die Medienstelle lapidar: «Die jährlichen Tranchen können nicht genannt werden, da sich diese aus verschiedenen Gründen auch verändern können.»

Alles ist unklar, ausser dies: Amherds tollkühner Plan, das Programm «Air 2030» über das laufende Armeebudget zu finanzieren, ist gescheitert. Zum Paket gehören neben den neuen 36 Jets auch die bodengestützte Luftabwehr Patriot sowie Kommunikationssysteme. Um acht Milliarden Franken geht es dabei – mindestens: Allfällige Mehrkosten bei der Produktion der Jets und ihre späteren Betriebskosten sind in der Zahl nicht eingerechnet.

Kampfjetanschaffungen sind in der Schweiz historisch stets umstritten, seit es 1961 wegen Kostenüberschreitungen bei einem Flugzeugkauf zum Mirage-Skandal kam. Hauchdünn nur, mit einer Mehrheit von 8670 Stimmen, nahmen die Stimmberechtigten 2020 den Rahmenkredit für einen neuen Kampfjet in der Höhe von sechs Milliarden Franken an. «Viola Amherds grosses Versprechen im Abstimmungskampf lautete: Alles lässt sich wie von Zauberhand über das laufende Armeebudget finanzieren», erinnert sich die grüne Nationalrätin Marionna Schlatter, die damals im Referendumskomitee gegen den Jet kämpfte.

Die Rechnung ging gemäss Planungsbeschluss der Regierung so: Der Schweiz steht pro Jahr eine Milliarde für die Aufrüstung zur Verfügung. Das macht von 2023 bis 2032 zehn Milliarden. Acht Milliarden kostet die Luftverteidigung. Weitere sieben Milliarden benötigen die anderen Teile der Armee. Ergibt einen Fehlbetrag von fünf Milliarden. Dieser sollte durch eine Erhöhung des Armeebudgets um jährlich 1,4 Prozent gedeckt werden – und mit Kostendisziplin.

Bloss hielten sich weder die Armee noch das VBS noch die bürgerliche Mehrheit im Parlament an diese Planung. Denn Viola Amherd versprach immer wieder: Die Aufrüstung kann unvermindert weitergehen. Schon vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine und danach erst recht wurde folglich weiter in die Rüstung investiert.

Wann immer rechte Sicherheitspolitiker:innen neue Waffen forderten, so eine Beobachtung in Bundesbern, gab Amherd grünes Licht. Etwa sechzehn zusätzliche Mörsersysteme? Sie stimmte zu und leitete die Beschaffung ein. Amherd beantragte so Verpflichtungskredit um Verpflichtungskredit, das Parlament winkte alle durch. Selbst als bürgerliche Panzerfreunde an einer Sitzung der Sicherheitskommission im Ständerat erklärten, der Krieg gegen die Ukraine mache eine dringende Aufrüstung der Leopard-Panzer notwendig, signalisierte Amherd freudige Zustimmung – trotz Gesamtkosten von mehr als einer Milliarde Franken.

Doch dann soll der fürs Heer zuständige Divisionär René Wellinger nach Informationen der WOZ die Harmonie in der Kommission gestört haben. Es gäbe dringendere Investitionen, ausserdem unterscheide sich die Topografie in der Ukraine doch wesentlich vom Alpenraum, und man wisse auch gar nicht, wie viele Panzer die Schweizer Armee wirklich brauche. Für einmal wurde ein Rüstungsgeschäft schliesslich verschoben.

Grösstes Rüstungspaket aller Zeiten

Angesichts der vielen Anschaffungen verwundert es nicht, dass die Liquidität ins Stocken geraten ist. Ins jährliche Budget passten sie längst nicht mehr. Ausstehende Zahlungen von 800 Millionen Franken musste die Armee deshalb bereits vom laufenden ins nächste Jahr verschieben, damit Amherds einzige bisherige Äusserung zu den Vorgängen gegenüber der Nachrichtenagentur SDA ihre Richtigkeit hat: «Wir können alle Rechnungen bezahlen.»

Ob die Militäroberen den Liquiditätsengpass haben kommen sehen oder nicht – klar ist auf alle Fälle, das bestätigen Politiker:innen quer durch alle Parteien, dass sie in den Sicherheitspolitischen Kommissionen mit keinem Wort davor warnten. Wohl weil sie davon ausgingen, dass das Militärbudget nach dem Angriff Russlands weiter erhöht und das Geld nur so sprudeln würde: Bis 2030 sollte das Budget auf ein Prozent des Bruttoinlandprodukts steigen, was nahezu eine Verdopplung von 5,5 auf 10 Milliarden Franken bedeuten würde. So forderten es die militärpolitischen Taktgeber von FDP und SVP, Thierry Burkart und Werner Salzmann.

FDP-Finanzministerin Karin Keller-Sutter schob das Zieljahr mit Verweis auf die angespannten Bundesfinanzen dann auf 2035 hinaus, und das Parlament folgte ihr in der letzten Wintersession äusserst knapp. Auch weil Viola Amherd – das dritte fatale Versprechen ­– versicherte, das Geld reiche trotzdem für all die Beschaffungen. Ganz im Widerspruch zur Armeespitze, die etwa in ihrem «Schwarzbuch» zur künftigen Verteidigungsstrategie vor einer langsameren Budgeterhöhung gewarnt hatte. Amherd, so eine verbreitete Interpretation im Parlament, habe nicht im Bundesrat anecken wollen – und zugleich gepokert, dass sich das Budget dann schon noch erhöhen lasse.

Durchaus möglich, dass ihr Poker aufgeht und das Parlament auf den ursprünglichen Fahrplan zurückkommt. In den nächsten Wochen legt das VBS die neue Armeebotschaft mit neuen Wünschen für neues Gerät vor. Es soll die teuerste Armeebotschaft aller Zeiten werden, berichtete die NZZ Ende 2023: 32 Milliarden Franken schwer. In den Beratungen darüber müsse man wieder zum Jahr 2030 als Ziel für die Budgeterhöhung zurückkehren, verlangt SVP-Mann Mauro Tuena. Das Geld dafür will er in anderen Staatsbereichen einsparen, «aber auf keinen Fall bei den Direktzahlungen für die Bauern».

Weitere 32 Milliarden für die Armee – für Links-Grün wäre das ein Horrorszenario. Doch ohne umfassende Aufklärung über den «Liquiditätsengpass» werden diesem Plan selbst bürgerliche Politiker:innen kaum zustimmen. Tuena sagt: «Amherd kann dieses Mal nicht durch die Hintertür abschleichen.» Volle Aufklärung verlangt auch die grüne Nationalrätin Marionna Schlatter: «Die entscheidende Frage lautet: Wer ist verantwortlich für das Missmanagement bei den Finanzen – die Armee, das VBS oder beide?»

Aus den Finanzkommissionen heisst es: Jetzt müssen VBS und Armee ihre ganze Finanzplanung offenlegen. Jede Bestellung, jede Frist, jeden offenen Kredit. Und vor allem: darlegen, wer wann was entschieden hat, das zum Debakel geführt hat. Auf die wolkigen Versprechen der Verteidigungsministerin, dass alles schon irgendwie aufgeht, will man sich nicht nochmals verlassen.