Solaroffensive: «Das Problem wird an die NGOs ausgelagert»

Nr. 48 –

Jürg Rohrer ist ein Pionier im Bereich der Solarenergieforschung – insbesondere in den Alpen. Bei der vom Parlament durchgepeitschten Solaroffensive sieht der Forscher aber Gefahren – und er wünscht sich mehr staatliche Eingriffe und weniger Marktgläubigkeit.

Fotovoltaikanlage auf dem Dach der Winter World in Wallisellen
«Es ist schwierig zu verstehen, wieso im einen Dorf acht Rappen und im anderen fünfzehn pro Kilowattstunde Solarstrom bezahlt werden»: Fotovoltaikanlage auf dem Dach der Winter World in Wallisellen. Foto: Gaetan Bally, Keystone

WOZ: Herr Rohrer, als Solarenergieforscher müssen Sie ein glücklicher Mensch sein. Das Parlament hat diesen Herbst eine Solaroffensive beschlossen und in ein entsprechendes Gesetz gegossen. Jahrelang ging es kaum vorwärts, und jetzt ist plötzlich gewaltig Tempo drin in der Solarpolitik …

Jürg Rohrer (überlegt lange): Ich bin nicht glücklich über die Art der Umsetzung. Man weiss schon lange, dass wir Fotovoltaik und Windkraft zubauen müssen, um unser Energiesystem zu dekarbonisieren. Aber man hat es verschlafen, und jetzt handelt man etwas überstürzt.

Also sehen Sie es eher negativ?

Insgesamt sehe ich es schon positiv. 2022 wird ein neues Fotovoltaikrekordjahr. Es muss aber noch viel rascher zugebaut werden: Im Mantelerlass zum Energiegesetz, der im kommenden Frühling in den Nationalrat kommt, stehen 35 Terawattstunden Strom aus neuen erneuerbaren Energien als Ziel für 2035 drin – bei einem aktuellen Stromverbrauch von knapp 60 Terawattstunden pro Jahr. Dieses Ziel unterstütze ich sehr. Um das zu erreichen, müssen wir in den nächsten zwölf Jahren jeweils zweieinhalb Mal so viel zubauen wie dieses Jahr. Das Zweite, was mich nachdenklich stimmt: Die Solaroffensive wird nicht ernsthaft mit Sparanstrengungen kombiniert. Die Solaroffensive soll 2 Terawattstunden Zubau bringen. Laut einer Studie des Bundesamts für Energie haben wir im Strombereich aber ein Einsparpotenzial von fast 20 Terawattstunden, also zehnmal so viel!

«Man merkt wenig, dass die Stromkonzerne zu neunzig Prozent in öffentlicher Hand sind.»

Sie haben sich schon vor der Herbstsession zu Solaranlagen in den Alpen geäussert und dabei betont, es sei wichtig, auf Biodiversität und Rückbaubarkeit zu achten. Das ist jetzt aber nicht gewährleistet.

Die Diskussion um die dazugehörige Verordnung läuft jetzt gerade. Ich setze mich vehement dafür ein, dass man nicht einfach nach dem Motto «De Schneller isch de Gschwinder» vorgeht, sondern klare Kriterien definiert. Ein Kriterium muss die Biodiversität sein, ein anderes die Finanzierung und die Wirtschaftlichkeit – damit man die Förderung auch effizient einsetzt. Ein weiteres die Umweltbelastung: beispielsweise die ganzen grauen Emissionen im Zusammenhang mit dem Bau und dem Rückbau einer Anlage.

Wie kommt diese Forderung nach klaren Kriterien im Prozess um die Ausarbeitung der Verordnung zur Solaroffensive an?

Vonseiten der Politik wollen das einige nicht – sie sagen, jetzt gehe es einfach darum, möglichst schnell zuzubauen, und Punkt. Aber wir können im schlimmsten Fall sogar dem guten Ruf der Fotovoltaik schaden, wenn wir irgendwelche Anlagen einfach irgendwo hinbauen. Es heisst, es gebe ja dann eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die Umweltverbände könnten dann Einsprache machen. So lagern die Behörden das Problem an die NGOs aus. Weil im Gesetz keine Kriterien erwähnt wurden, befürchten die Bundesämter gerichtliche Klagen von grossen Stromversorgern, wenn eines ihrer Projekte aufgrund von verschiedenen Kriterien bei der Solaroffensive nicht berücksichtigt würde. Dabei müssten doch eigentlich auch die Kantone als Eigentümer dieser Stromversorger grosses Interesse an einer guten Qualität der Projekte haben. Ich finde, wir sind hier gerade dabei, eine Chance zu verpassen.

Jürg Rohrer
Jürg Rohrer

Waren Sie in den Prozess involviert?

Ja, ich war an einem Treffen, wo sich viele Stakeholder von alpinen Anlagen mit den Bundesämtern getroffen haben. Der Branchenverband Swissolar, die Anlagenbauer und die Umweltverbände haben sich für Qualitätskriterien ausgesprochen. Ich selbst vonseiten der Wissenschaft natürlich erst recht. Ich habe auch einen konkreten Vorschlag eingebracht, welche Kriterien man definieren könnte. Es sind eigentlich fast nur Juristen und einige Politiker dagegen.

Ein alpines Solargrossprojekt, das enorme mediale Beachtung erhalten hat, soll bei Grengiols im Wallis gebaut werden. Auf einer Fläche von fünf Quadratkilometern soll es so schnell wie möglich 2 Terawattstunden Strom pro Jahr produzieren. Wie realistisch ist das?

Ich möchte mich nicht zu konkreten Projekten äussern. Aber ich kenne kein einziges Projekt, das Ende des nächsten Jahres 2 Terawattstunden Strom einspeisen wird. Das ist rein von den Abläufen her nicht realistisch.

Der Bundesrat hat letzte Woche im Zusammenhang mit dem Mantelerlass vom Parlament gewünschte, vorgezogene Beschlüsse gefasst, unter anderem zu Förderinstrumenten im Umfang von bis zu über drei Milliarden Franken für alpine Solaranlagen. Geht das in die richtige Richtung?

Grosso modo schon. Es sind einige Vereinfachungen drin und eine Präzisierung für grosse Anlagen, die selbst keinen Strom brauchen. Und die erwähnte Zielsetzung von 35 Terawattstunden pro Jahr aus erneuerbaren Energien, die im Mantelerlass zum Energiegesetz vorgesehen sind, befürworte ich auch sehr. Sinnvollerweise würde sich die Schweiz auch das generelle Ziel netto null Treibhausgase bis 2035 setzen.

Wenn man die Verordnung von letzter Woche anschaut, dann geht es doch um sehr beträchtliche Subventionen. Nun haben sich bereits die grossen Stromfirmen wie die Axpo oder Alpiq ins Spiel gebracht. Institutionelle Anleger:innen werden sich beteiligen …

Ja, in der Branche ist Goldgräberstimmung ausgebrochen, weil solche Anlagen, die mit einem Beitrag von bis zu sechzig Prozent vom Bund gefördert werden, extrem lukrativ werden. Darum hat zum Beispiel die Axpo angekündigt, sie wolle bis zu elf neue Anlagen bauen. Durch diesen Beschluss wird praktisch jede Anlage in den Alpen finanziell lukrativ. Das ist für mich ein weiterer Grund, weshalb man Qualitätskriterien einsetzen muss.

 

 

Vernachlässigt wird im Vergleich zu alpinen Anlagen die Solarenergie auf Hausdächern. Warum geht es dort nicht vorwärts?

Der Zubau auf Dächern wird dieses Jahr so hoch wie nie zuvor sein. Wir haben im Moment hohe Strompreise, weshalb man davon ausgeht, dass keine stärkere Förderung nötig sei, um den Ausbau auf den Dächern voranzutreiben. Dazu kommt, dass die Branche voll ausgelastet ist und krampfhaft Monteure sucht. Aber die Schweiz hat generell mit ihrem Weg über Investitionsbeiträge zur Förderung von Anlagen einen eigenartigen Weg eingeschlagen. Eigentlich wäre es naheliegender, nicht die Investitionskosten zu subventionieren, sondern das, was man will: den Strom. Und zwar einheitlich – es ist schwierig zu verstehen, wieso im einen Dorf acht Rappen und im anderen fünfzehn Rappen pro Kilowattstunde Solarstrom bezahlt werden.

Aber auch wenn man den Strom direkt vergütet – es bleibt eine Subventionierung der Hauseigentümer:innen. Die Besitzenden profitieren.

Ja, das ist so. Die Lösung dafür wäre eine Solarpflicht. Ich fordere eine solche seit Jahren für neue und bestehende Bauten. Wer ein Haus besitzt, ist privilegiert und soll als Gegenleistung auch Solarstrom für andere produzieren.

Davon sind wir weit entfernt …

Ja, in der Schweiz hält man die Freiwilligkeit hoch, will nicht ins Eigentum eingreifen. Man scheut sich, Rahmenbedingungen zu setzen, Gesetze zu erlassen und klar zu sagen, was erlaubt ist und was nicht. Obwohl im Umweltbereich bisher fast nur dies Erfolge gebracht hat, beispielsweise bei den Kläranlagen, bei den Partikelfiltern für Kehrichtverbrennungsanlagen oder beim Schutz der Ozonschicht vor FCKW.

Wie sehen Sie die Rolle der Windenergie in der Schweiz?

Es wäre sehr wichtig, Windenergie zuzubauen. Zwei Drittel der Windenergie fallen im Winterhalbjahr an, in der Nacht mehr als am Tag und bei schlechtem Wetter mehr als bei gutem. So ist Wind die ideale Ergänzung zur Solarenergie. Aber die Akzeptanz ist ein riesengrosses Problem. Gruppierungen wie Freie Landschaft Schweiz sind sehr gut organisiert und wehren sich gegen jegliche Projekte. Viele Falschinformationen sind im Umlauf, etwa zur Lärmbelastung von Windturbinen, zur Entwertung von Immobilien, sogar zu Fehlgeburten in diesem Zusammenhang. Da wird masslos übertrieben.

Verstehen Sie Kritiker:innen wie Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz, die sich um die Landschaft sorgen?

Ja. Der Einfluss auf die Landschaft ist ein Kriterium, aber nicht das einzige. Auch der Klimawandel wird die Landschaft verändern, und je schneller wir die Dekarbonisierung schaffen, desto besser können wir sie bewahren. Dabei müssen alle Kompromisse eingehen. Und nochmals: Effizientere und sparsamere Nutzung der Energie kann den Druck auf die Landschaft verringern. Ich plädiere dafür, dass man den Stromversorgern eine Pflicht zur Energieeffizienz auferlegt. Die sind im Moment eigentlich die Einzigen, die keine Kröte schlucken müssen. Sie profitieren nur, sie können bauen und erhalten einen Haufen Subventionen. Und gelten auch noch als Problemlöser.

Aber natürlich verkaufen sie lieber mehr Strom als weniger.

Es ist nicht realistisch, einem Metzger zu sagen, er müsse dafür sorgen, dass es mehr Vegetarier gebe. Dasselbe gilt für die Strombranche. Mit der Energiestrategie 2050 wollte der Bundesrat vor einem Jahrzehnt die Stromversorger für eine effiziente Nutzung ihres Stroms verantwortlich machen: mit den sogenannten Weissen Zertifikaten, also handelbaren Einsparungen. Aber die Strombranche hat sich vehement dagegen gewehrt, obwohl dies im Ausland bereits sehr gut funktioniert hat.

Können Sie uns Länder nennen, wo das der Fall ist?

Das Paradebeispiel ist der US-Bundesstaat Kalifornien, der eine solche Massnahme seit mehreren Jahrzehnten kennt und den Stromverbrauch so stabilisieren konnte.

Es bräuchte also mehr staatliche Eingriffe im Bereich der Stromversorgung?

Die Stromversorger in der Schweiz gehören ja zu neunzig Prozent der öffentlichen Hand. Davon merkt man wenig. Der Glaube an den Markt hat dazu geführt, dass sie ihre Produktion schon Jahre im Voraus ins Ausland verkaufen und zugleich darauf hoffen, dass es dann schon genug Strom für die eigenen Kunden gibt, den man günstig einkaufen kann. Der Selbstversorgungsgedanke ist abhandengekommen. Ein Umdenken wäre nötig.

In Richtung Service public?

Ja. Das ist eine Frage der Rahmenbedingungen und der Vorgaben an die Stromversorger, die die Eigentümer bestimmen, also hauptsächlich die Kantone oder die Gemeinden. In diesem Zusammenhang ist auch die Bewirtschaftung der Speicherseen zu erwähnen: Jetzt hat der Bund die Stromfirmen, die der öffentlichen Hand gehören, zusätzlich dafür bezahlt, dass sie im Inland für Wasserkraftreserven sorgen. Die Versorger wollen heute primär mit Strom möglichst viel Geld verdienen, die Versorgungssicherheit hingegen gilt nicht als Standardaufgabe. Dies könnten die Kantone als Besitzer aber meines Erachtens durchaus ändern.

Jürg Rohrer

Der studierte Maschineningenieur Jürg Rohrer (60) leitet die Forschungsgruppe Erneuerbare Energien am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen in Wädenswil, das zur Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) gehört. Auf der Totalp bei Davos hat Rohrer die landesweit bisher einzige Versuchsanlage für Fotovoltaik in den Bergen aufgestellt, die als Blaupause für künftige alpine Solaranlagen dient. Rohrer ist Mitglied diverser Umweltverbände sowie der Grünen Partei, bekleidet allerdings kein damit zusammenhängendes politisches Mandat.

WOZ Debatte

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Kommentare

Kommentar von Fliegendruck

Fr., 02.12.2022 - 14:32

ich meine, es ist eine SAUEREI und sie ist absolut unverständlich, dieser Auswuchs vom Föderalen: der Stromrückerstattungspreis.
Herr Rohrer, mögen Sie mir helfen zu verstehen? für mich ist das heute ZU schwierig.
danke.

Kommentar von Benno Gassmann

Mo., 05.12.2022 - 11:20

«Die Solarinitiative wird nicht ernsthaft mit Sparanstrengungen kombiniert», bedauert Jürg Rohrer im Interview zu «Solaroffensive» (WOZ 48, S.6 f). Tatsächlich ist auffällig, dass bei den verschiedenen Aufrufen zum Sparen etwa die Welt des Digitalen (ICT, Informations- und Kommunikations-Technologie) aussen vor bleibt, als ob hier keine Energie verbraucht würde! Dabei ist sie in der Schweiz der zweitgrösste Verbraucher von Energie! Warum ist das kein Thema? Hat es damit zu tun, dass man alles, was digital ist, als «grün» oder «sauber» betrachtet? Einfach weil es bei der Anwendung nicht stinkt wie bei einem Verbrennungsmotor? Und dabei ausser Acht lässt, dass die z.B. Solarpanels und die Akkus nur mit den «Seltenen Erden» funktionieren, und dass deren Schürfung und Verarbeitung alles andere als ökologisch ist (siehe «mozaikzeitung.ch», S. 8f)? Die «Seltenen Erden» gelten als «das Öl der digitalen Welt» und sind wie dieses endlich. Das Bild von «sauberer Energie» entsteht, weil der Dreck verschoben wird in Gegenden, wo sich die Menschen nicht wehren können oder dürfen. Ein übliches Muster in der Wirtschaft! Neu ist hier nur, dass die Produkte als «grün» und «sauber» verkauft werden! Wenn es uns darum geht, unsere Erde «grüner» zu erhalten, hilft nur ein Weniger an Energie insgesamt, nicht nur des Erdölverbrauchs! Das ist kein Votum gegen die digitale Technologie, sondern ein Votum für ein demokratisches Abwägen, was wir denn wirklich brauchen.
Benno Gassmann