Fussball: Die baskische Alternative

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Was macht das Politrebellische des Klubs Athletic Bilbao aus? Eine Spurensuche, die mit spannenden Anekdoten aufwartet, aber die politische Dimension im Ungefähren belässt.

Fussball ist ein eigenartiges Phänomen: Auf der einen Seite gibt es kaum einen Bereich des gesellschaftlichen Lebens, der so kommerzialisiert und von individualistischer Leistungsideologie durchdrungen ist wie der Rasensport. Andererseits sind Fussballstadien aber auch Orte, an denen sich politische Gegenkulturen formieren. In Hamburg ist der Zweitligaverein St. Pauli der wichtigste linke Organisierungsansatz. Bei der ägyptischen Revolution von 2011 spielten Ultras von Al Zamalek eine Schlüsselrolle. Und an den Geziprotesten 2013 in der Türkei waren die Fans von Beşiktaş Istanbul federführend beteiligt.

In Anbetracht des WM-Trauerspiels in Katar drängt sich die Frage auf, unter welchen Bedingungen eigentlich ein anderer, rebellischer Fussball möglich ist. Zu den interessantesten Klubs in diesem Zusammenhang gehört sicherlich der baskische Verein Athletic Bilbao, der noch nie aus der seit 1929 in Spanien existierenden Primera División abgestiegen ist.

Athletic ist in mindestens zweierlei Hinsicht spannend. Zum einen hat sich der Verein eine Selbstverpflichtung auferlegt, die der Kommerzialisierung Einhalt gebieten soll: Bei Athletic dürfen nur Fussballer:innen spielen, die im Baskenland geboren oder ausgebildet wurden. Millionenschwere Transfers sind somit nicht unmöglich, aber stark erschwert – es kommen einfach nicht so viele Spieler:innen infrage. Zum anderen haben sich der baskische Konflikt mit dem Zentralstaat und der Einfluss der radikalen Linken immer auch im Stadion San Mamés abgebildet. Nicht zufällig heisst der Ultrazusammenschluss des Vereins «Herri Batasuna» – wie die 2003 von Madrid verbotene baskische Linkspartei.

Kollektiv mit vielen Frauen

Insofern war es an der Zeit, dass sich ein deutschsprachiges Buch dem Phänomen Athletic widmet. Autor Dirk Segbers, der auch für die Fussballzeitschrift «11 Freunde» schreibt, richtet sein Augenmerk dabei auf die Klubgeschichte im engeren Sinn. In kurzen, episodenhaften Kapiteln wird Athletic etwa anhand von Spieler:innen, Trainer:innen und einer ehemaligen Vereinspräsidentin vorgestellt. Dabei fördert Segbers spannende Anekdoten zutage. Eine davon ist die berühmt gewordene Geschichte des spanischen Nationaltorhüters José Ángel Iribar, der 1976 die damals noch verbotene baskische Fahne ins Stadion trug und danach nie wieder in die Nationalmannschaft berufen wurde. Kaum bekannt ist die Geschichte des Nachwuchstorwarts Jorge Kirschner, der aus einer deutsch-jüdischen Familie stammte, bei Ausbruch des Bürgerkriegs erst nach Frankreich, dann in Anbetracht des antisemitischen Terrors in Deutschland zurück nach Spanien floh und 1938 kurzzeitig bei Athletic zwischen den Pfosten stand. Segbers ordnet diese Episoden chronologisch: ­Raimundo Pérez Lezama, der beste Ligatorwart der 1940er Jahre; das im Elfmeterschiessen verlorene Pokalfinale von 1977; die sensationelle Meisterschaft unter dem späteren spanischen Nationaltrainer Javier Clemente 1983 …

Dabei macht Segbers durchaus deutlich, was das Progressive an Athletic ausmacht. Es ist praktisch der letzte verbliebene Verein der Primera División, der sich vollständig in den Händen seiner Mitglieder befindet. Die Wahl der Vereinspräsident:innen ist ein Politikum, das öffentlich diskutiert wird. Der Frauenfussball spielt eine wichtigere Rolle als bei den meisten Spitzenklubs. Und auch die Regelung, keine Auswärtigen im Team zuzulassen, ist, wie Segbers erklärt, eben keiner ethnischen Idee geschuldet, wie es in der internationalen Sportpresse immer mal wieder kolportiert wird, sondern soll die lokale Verankerung garantieren. So ist der unangetastete Stürmerstar des Vereins heute der aus einer Migrant:innenfamilie stammende, in Bilbao aufgewachsene ghanaische Nationalstürmer Iñaki Williams.

Die Politik umdribbelt

Doch auch wenn Segbers den Blick auf solche Aspekte lenkt: Eine Antwort auf seine zentrale Frage, was das Einzigartige am Verein ausmacht, bekommt er nicht zu fassen. Die politische Dimension bleibt ausgeblendet, obwohl historische Rahmenbedingungen wie der Bürgerkrieg oder die Franco-Diktatur prominent verhandelt werden. Kein Wort zu den Attentaten der ETA, staatlicher Folter, Parteiverboten oder Pressezensur.

Segbers hat ein Buch für Fussballtourist:innen geschrieben, die für ein Spiel in die Stadt einfliegen und danach eine Kneipenrunde drehen. Das ist insofern schade, als das Phänomen Athletic zu einer Diskussion um einen anderen Fussball einiges beitragen könnte. Der bis 2011 gewaltsam ausgetragene und nach wie vor ungelöste baskische Konflikt hat auch den Fussball über Jahrzehnte politisiert. Doch diese Verbindung zwischen Protestbewegungen und Sport hat sich in den letzten Jahren verflüchtigt, weil seit dem Ende der ETA auch die Gesellschaft unpolitischer geworden ist. Es ist eine wichtige Frage, ob die progressiven Eigenheiten des Vereins in diesem Klima allgemeiner Entpolitisierung Bestand haben werden. Doch Segbers’ Buch wirft solche Probleme gar nicht erst auf, weil es um die politische Dimension des Konflikts einen Bogen macht.

Buchcover von «Athletic Club Bilbao. Aus Prinzip einzigartig»

Dirk Segbers: «Athletic Club Bilbao. Aus Prinzip einzigartig». Verlag Die Werkstatt. Bielefeld 2022. 224 Seiten. 40 Franken.