Gáspár Miklós Tamás (1948–2023): Der Philosoph, der den Mächtigen lästig war

Nr. 3 –

Gáspár Miklós Tamás war immer Dissident. Schon im rumänischen Cluj, wo er 1948 in eine jüdische Familie von Überlebenden des Naziterrors geboren wurde, fand er wenig Gemeinsamkeiten zwischen den Idealen seiner marxistischen Eltern und der Praxis des Ceauşescu-Regimes.

Der wissbegierige Zweifler studierte Philosophie und klassische Philologie. Als Autor der Wochenzeitung «Utunk» (Unser Weg) weigerte er sich, eine Lobeshymne auf den kommunistischen Staatschef Nicolae Ceauşescu zu veröffentlichen, und geriet ins Fadenkreuz der Securitate, der rumänischen Stasi. Ein Publikationsverbot trieb ihn nach Budapest, wo er Vorlesungen in Philosophiegeschichte halten durfte, bis sein Pseudonym, mit dem er in der Untergrundzeitung «Beszelö» (Sprechzimmer) schrieb, aufflog. Ein Berufsverbot hielt Tamás nicht davon ab, sich mit Dissident:innen im ganzen Ostblock zu vernetzen und an einer Demokratiebewegung zu basteln. Dabei war er so lästig, dass ihm das Regime 1986 einen Pass ausstellte und ihn in die USA ausreisen liess. Eine Gastprofessur in New York bot ihm die Plattform, weiter zu konspirieren. Als noch vor dem Mauerfall der Eiserne Vorhang zwischen Ungarn und Österreich demontiert wurde und ein junger Liberaler namens Viktor Orbán den Abzug der russischen Truppen forderte, war er wieder zurück.

Nicht vollzogen hat Tamás die Hinwendung vieler Mitstreiter:innen zum Kapitalismus östlicher Prägung, der die Plünderung des Staates und das Entstehen des Oligarchentums erlaubte. Tamás wurde wieder zum Marxisten mit starkem Hang zum Anarchosyndikalismus. Als der zum Nationalkonservativen konvertierte Orbán 2010 zum zweiten Mal an die Macht kam, schickte die Uni Tamás in Frühpension. Er schrieb weiter an gegen die autoritäre Regierung und deren dumpfen Nationalismus. Er engagierte sich bei Attac und hielt Gastvorlesungen an der liberalen Central European University, bis Orbán diese aus Budapest vertrieb. Vergangenen Sonntag starb er nach schwerer Krankheit.