Kampf ums Klima: «Anderswo sind wir schon viel weiter»

Nr. 3 –

Der fossile Kapitalismus lasse sich eher von den Rändern her bezwingen, sagt der argentinische Aktivist Esteban Servat. Mit der Initiative «Debt for Climate» glaubt er, einen wirksamen Hebel gefunden zu haben.

WOZ: Herr Servat, wofür steht in Ihren Augen der Kampf um Lützerath?

Esteban Servat: Lützerath ist zu einem wichtigen Symbol für die Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland, ja in ganz Europa geworden. Es steht dafür, dass der Kampf ums Klima am besten funktioniert, wenn er an einem realen Ort stattfindet, wenn er also lokal verankert ist. Gleichzeitig sendet die vollzogene Räumung ein trauriges Signal an die Welt: Die deutsche Regierung, ausgerechnet unter Beteiligung der Grünen Partei, hat Lützerath gewaltsam geopfert. Was kann man vom Rest der Welt erwarten, wenn das mächtigste Land Europas mit einem solchen Beispiel vorangeht?

Aktivist Esteban Servat
Aktivist Esteban Servat Foto: Marius Michusch

Wenn wir von lokalen Kämpfen sprechen: Sie haben die letzten Tage in der Schweiz verbracht, um sich an den Demos gegen das Weltwirtschaftsforum zu beteiligen. Das Land ist eine zentrale Drehscheibe für den Handel mit fossilen Rohstoffen, und deren Abbau wird vom hiesigen Finanzplatz vorangetrieben …

Ja, ich habe den Eindruck, dass in der Schweiz viel Lokales tatsächlich global ist. Das sollte auch mit der Blockierung des Flugplatzes im st. gallischen Altenrhein am Montagmorgen aufgezeigt werden: Hier landen die Privatjets jener, die dann am Wef vorgeben, ihre Ausbeutung der Welt passiere im Interesse der Allgemeinheit.

Am Sonntag schon war ich in Davos, und es war verblüffend: Dort hat der weltgrösste Vermögensverwalter Blackrock eine Filiale eingerichtet, in die man einfach hineinspazieren kann. Von so etwas können Aktivist:innen im Globalen Süden nur träumen: das Zentrum der Macht zu betreten. Aber mir scheint, dass sich die Menschen hier viel zu wenig bewusst sind, wie viel Verantwortung sie tatsächlich haben. Das ist ja nicht nur während des Wef der Fall, hier befinden sich so viele mächtige Institutionen, die den Planeten und die darauf lebenden Menschen zerstören.

Gegen diese Institutionen vorzugehen, würde aber bedeuten, dass die Schweiz ihre eigenen Privilegien beschneidet. Wie lassen sich dafür Mehrheiten schaffen?

Man muss den Menschen vermitteln, dass die Klimakrise auch ihre Privilegien zerstören wird und dass die Lösungen, die etwa am Wef präsentiert werden, nichts als heisse Luft sind. Es bringt nichts, von den Leuten dort zu erwarten, dass sie «auf die Wissenschaft hören» oder «die Wahrheit sagen» sollen, wie manchmal an Demos gefordert wird. Die wissen nämlich ganz genau, was Sache ist. Nein, es geht einzig um Macht. Und diese werden sie gegen die Interessen der Arbeiter:innen auf der ganzen Welt verteidigen, auch in der Schweiz. Es muss uns also gelingen, die Klimabewegungen mit den Gewerkschaften zusammenzubringen. Auch wenn immer versucht wird, sie gegeneinander auszuspielen: Sie haben in Wirklichkeit ein und dasselbe Interesse – nämlich eine lebenswerte Zukunft.

Gerade das Beispiel Deutschland und insbesondere Nordrhein-Westfalen zeigt aber, dass die Industriegewerkschaften auf der Seite der Konzerne und Regierungen stehen.

Natürlich, wir müssen neue Wege finden, um die Arbeiter:innen zu erreichen. Und wir müssen einsehen, dass dieser Prozess kaum in Machtzentren wie Deutschland oder der Schweiz beginnt. Anderswo sind wir da schon viel weiter und auch international vernetzt: Vor einem Jahr haben wir mit der Global Coastline Rebellion Tausende Menschen in dreissig Ländern gegen die Offshoreölförderung mobilisiert, nachdem es in Peru zur schlimmsten Ölpest in der Geschichte des Landes gekommen war. Ich selbst habe in Argentinien eine breite Bewegung mitaufgebaut, die sich gegen Frackingprojekte zur Wehr setzt. Der fossile Kapitalismus lässt sich wohl nur von den Rändern her auffressen.

Dort ist Klima- und Umweltaktivismus aber noch viel gefährlicher als im Zentrum. Auch in Lützerath wurden Menschen teils schwer verletzt. Dabei darf die Polizei in Deutschland keine Gummigeschosse einsetzen – in anderen Ländern wird hingegen scharf geschossen, wenn Kapitalinteressen angetastet werden.

Wir versuchen, dieses Wissen zu euch ins Zentrum zu tragen: Umwelt- und Klimaaktivist:innen verschwinden im Globalen Süden zu Tausenden, sie werden gefoltert und getötet. Auch ich selbst bin nach Deutschland gekommen, weil ich Argentinien nach jahrelangem Kampf, Strafverfahren und Drohungen gegen meine Familie und meine Freundin aus Angst um ihre Sicherheit verlassen musste.

Wie wollen Sie die Menschen unter diesen Umständen mobilisieren?

Ich denke, wir haben einen sehr wirksamen Hebel: die Schuldenfrage. Es ist die Staatsverschuldung von Ländern im Globalen Süden, die diese zwingt, weiter Öl, Gas und Kohle zu fördern und in Richtung Norden zu verschiffen. Und sie ist es auch, die das globale Abhängigkeitsverhältnis aufrechterhält: Nigeria muss derzeit mehr Geld aufwenden, um seine Schulden zu bedienen, als es an Staatseinnahmen hat. Im Globalen Süden wissen die Arbeiter:innen sehr genau, dass ihre Armut direkt mit den Staatsschulden zusammenhängt – und dass diese letztlich auf das Unrecht des Kolonialismus zurückgehen. Billionen flossen schon aus dem Süden in den Norden, nur um Schulden zu bedienen, und trotzdem kamen viele Länder nie aus der Schuldenfalle heraus.

Mit der Initiative «Debt for Climate» vereinen wir nun soziale, gewerkschaftliche und Klimabewegungen auf dem ganzen Planeten hinter der Forderung nach einem umfassenden und bedingungslosen Schuldenerlass. Die Länder des Südens sollen einen Handlungsspielraum erhalten, um den Übergang in eine fossilfreie Zukunft schaffen und sich gegen die Auswirkungen der Klimakatastrophe schützen zu können.

Wie wollen Sie dieser Forderung zum Durchbruch verhelfen? Freiwillig werden die Gläubiger darauf ja niemals eingehen.

Da landen wir wieder bei den lokal verankerten Kämpfen. Die Arbeiter:innen müssen ihre eigenen Regierungen so stark unter Druck setzen, dass diese nicht länger damit durchkommen, sich aus Angst vor einer Abstrafung durch den Internationalen Währungsfonds oder die Weltbank, oder auch zum persönlichen Vorteil, auf die Bedingungen westlicher Geldgeber einzulassen. Ich rede von lokalen Protesten, von Streiks und Blockaden, getragen von Klima-, indigenen, feministischen und gewerkschaftlichen Bewegungen.

Natürlich habt auch ihr euren Teil dazu beizutragen. Und das ist ein weiterer Grund, weshalb Lützerath ein wichtiges Symbol ist: Mitten im reichen Norden ist ein Ort entstanden, an dem ein globaler Kampf ausgefochten wird. Wenn wir es schaffen, das Zentrum mit den Rändern zu verbinden, werden wir unaufhaltsam sein.

Von der Pharma ins Exil

Zehn Jahre lang arbeitete der studierte Biotechnologe Esteban Servat (38) im Silicon Valley bei einem grossen Pharmakonzern, bevor er sich 2013 in der argentinischen Provinz Mendoza niederliess. Nach der Gründung der Plattform «EcoLeaks» und der Publikation geheimer Regierungsdokumente wurde er verfolgt und erhielt Todesdrohungen.

Seit 2019 lebt er in Deutschland und betätigt sich in der internationalen Vernetzung aktivistischer Gruppen.