Durch den Monat mit Nadine Bühlmann (Teil 4): Ist es wichtig für Sie, dass die Kinder Sie gerne haben?

Nr. 8 –

Es gibt etwas, was Eltern unbedingt mit ihren Kindern tun sollten, sagt Nadine Bühlmann, Primarlehrerin im Kleinbasler Vogelsang-Schulhaus: Reden, reden, reden.

Portraitfoto von Nadine Bühlmann
«Wenn mich jemand nicht mag, ist das in Ordnung. Das kann ich nicht steuern. Aber ich versuche, eine gute Beziehung aufzubauen»: Nadine Bühlmann. Foto: Florian Bachmann



WOZ: Nadine Bühlmann, gibt es Schüler:innen, die Sie lieber haben als andere?

Nadine Bühlmann: Sympathien sind nicht immer gleich verteilt. Es gehört zu meiner Arbeit als professionelle Lehrerin, dass ich damit einen bewussten Umgang finde. Ich muss mich ständig hinterfragen oder von meiner Kollegin reflektieren lassen, damit ich nicht ungerecht bin. Aber ich spüre das auch selber. Mit den Nachbarn ist das ja nicht anders, auch da gibt es solche, die ich lieber habe als andere. Der Umgang damit ist entscheidend.

Was tun Sie, wenn es Ihnen auffällt?

Dann versuche ich, darauf zu achten. Vielleicht muss ich auch das Kind besser kennenlernen. Wir gehen viel in den Wald. Jede zweite Woche gibt es eine ausserschulische Lernerfahrung. Von acht oder neun Uhr morgens bis nachmittags um vier sind wir draussen. Da lerne ich Kinder oft ganz neu kennen.

Ist es wichtig für Sie, dass die Kinder Sie gerne haben?

Respekt ist wichtig. Wenn mich jemand nicht mag, ist das in Ordnung. Das kann ich nicht steuern. Aber ich versuche, eine gute Beziehung aufzubauen. Ich habe eine Vorbildfunktion und muss auch dann bei mir bleiben, wenn ein Kind einen schwierigen Moment hat. Ich muss respektvoll bleiben, in der Beziehung bleiben.

Das klingt nach einer genau abgesteckten Beziehung. Empfinden Sie manchmal auch Mitleid, wenn ein Kind keine Freund:innen findet?

Ja, natürlich. Das hat aber nichts damit zu tun, ob mich das Kind gern hat. Mir ist wichtig, dass die Kinder untereinander gute Beziehungen haben. Das Klassenklima ist entscheidend. Und die Tage im Wald sind für dieses Klima, für die überfachlichen Kompetenzen, enorm wichtig. Gerade wenn es darum geht, eine Streitkultur zu etablieren. Wenn Kinder das zu Hause nicht gelernt haben, lernen sie es in der Schule. Und Gleichaltrige sind perfekt, um streiten zu lernen.

Wann intervenieren Sie?

Gerade im Wald gibt es schon Situationen, die nicht gehen. Einmal haben einige Games nachgespielt und mit Ästen auf Klassenmitglieder eingeschlagen. Da sagen wir dann Stopp und fragen sie, ob sie nicht gemerkt haben, dass ein Kind auf dem Boden liegt. Dann heisst es: «Nein, nein, nicht echt, not real.» Manchmal verschwimmen Realität und Fiktion in diesem Alter. Da muss ich intervenieren.

Schreiben Sie sich selber einen massgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit Ihrer Schülerinnen und Schüler zu?

Natürlich ist das für Kinder sehr prägend, wenn sie drei Jahre mit denselben Lehrpersonen in einer Gruppe verbringen. Sie machen wichtige Erfahrungen mit der Gruppe – auch wenn es einmal nicht so schön ist. Kinder müssen merken, dass sie auch damit umgehen können. Die Welt da draussen ist nicht einfach gut und lieb. Das Erdbeben in der Türkei hat bei Kindern, die Beziehungen in die Türkei haben, enorm viel ausgelöst. Sie haben alle die Bilder gesehen. Wir haben mehrmals darüber gesprochen – immer dann, wenn ein Kind das Thema aufwarf. Es gab Tränen.

Und wenn ich etwas mitgeben darf an die Eltern, dann, dass sie mit ihren Kindern reden. Reden, reden, reden. Über ihre Gefühle, über die Welt um sie rum, über ihre Körper. Tun sie das, haben Eltern einen wichtigen Job gemacht für ihre Kinder. Wir können nicht alles auffangen in der Schule. Das geht manchmal ein bisschen vergessen – auch bei den aktuellen Diskussionen in Basel, ob Kitas kostenlos sein sollen. Kita für alle ist gut. Aber Eltern für alle ist auch wichtig.

Woher haben Sie die Gewissheit, dass Sie den Kindern das Richtige mitgeben?

Die Elterngespräche sind dafür ein wichtiger Ort, da erfahre ich, was die Kinder zu Hause von der Schule erzählen. Wir haben bei diesen Gesprächen Lego-Steine dabei. Die Eltern bauen damit nach, wie die Kinder die Schule erleben. Da erfahre ich, ob es dem Kind wohl ist. Letzte Woche habe ich etwas Lustiges erlebt: Es war Mittwoch, und ich war an Sitzungen, aber viele Kinder sind gekommen, um hier ihre Hausaufgaben zu machen. Da sah ich zwei Kinder, die mit dem Besen das Klassenzimmer putzten. Sie sagten, sie hätten das Gefühl gehabt, es sei ein bisschen schmutzig …

… bin ich also nicht der Einzige, der diesen Eindruck hatte!

(Lacht.) Sie haben gesagt, es sei ein Puff! Jedenfalls dachte ich da: Niemand putzt freiwillig etwas, das er nicht gerne hat. Und an den Tagen, an denen wir im Wald sind, spüre ich die Klasse sehr genau. Da wird so viel Feinstofflichkeit sichtbar. Ich sehe, ob die Kinder zu mir kommen, wenn etwas ist, wie sie spielen. Und sie spielen oft sehr friedlich. Dann sage ich manchmal zu meiner Kollegin: «Haben wir nicht den schönsten Job und werden auch noch bezahlt dafür?»

Natürlich scheine in ihrem Alltag nicht immer die Sonne, sagt Nadine Bühlmann (46), die Schulleiterin war, jetzt Primarlehrerin ist und später mal an der Sek unterrichten will. Aber der Beruf werde auch gezielt schlechtgeredet: «Deshalb haben wir Mühe, Lehrer:innen zu finden.»