Diskriminierung: Wer darf Kunst studieren?
Die Leitung des Departements Fine Arts an der Zürcher Hochschule der Künste drängt eine Studentin mit Asperger-Syndrom faktisch aus dem Studium. Der Fall zeigt, wie rückständig die Praxis der Hochschule ist.
Im Sommer 2022 wechselte Ronja Warg* (24) an die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), um im Bachelor bildende Kunst weiterzustudieren. Willkommen fühlte sie sich dort schon bald nicht mehr, sogar diskriminiert.
Bei Warg wurde im Alter von neunzehn Jahren das Asperger-Syndrom diagnostiziert. Gewisse Situationen im Studium stellen für sie eine besondere Herausforderung dar. So ist es für sie etwa überaus anstrengend, mit vielen Menschen längere Zeit in einem Raum zu verbringen. Für Personen mit Beeinträchtigung ist es üblich, dass sie mit Schulen oder Hochschulen einen sogenannten Nachteilsausgleich vereinbaren können. Darin werden auf die betroffene Person zugeschnittene Regeln vereinbart, um Benachteiligungen entgegenzuwirken. Warg hatte schon früher mit ihrer Schule und mit der englischen Universität, an der sie vor der ZHdK studiert hatte, Nachteilsausgleiche vereinbart. Darum war sie überrascht, als dies an der ZHdK zu Problemen führte.
Mitte Juni 2022 reichte Wargs Therapeutin ein entsprechendes Gesuch ein. Darin werden verschiedene Massnahmen vorgeschlagen, etwa die Aufklärung ihrer Mitstudierenden über ihre Diagnose. Mehrere Punkte betreffen das Verweilen in der Gruppe. So etwa, dass Warg die Möglichkeit haben sollte, sich zur Vermeidung einer Reizüberflutung kurzzeitig in einen anderen Raum zurückzuziehen, oder eine Minimierung der Präsenzpflicht im Unterricht.
Nicht verhandelbar
Der letzte und zentrale Punkt, dass die an der ZHdK geltende Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen von achtzig Prozent in Wargs Fall etwas weniger streng auslegt wird, ist für die Leitung des Departements Fine Arts bis heute unverhandelbar.
Ende August fand ein erstes Treffen zwischen Ronja Warg und ihrer Therapeutin mit Patricia Felber Rufer, der Leiterin der hauseigenen Fachstelle Gleichstellung und Diversity, sowie Raphael Gygax, Leiter des Bachelors Fine Arts, statt. Von Gygax erfuhr Warg, dass der Nachteilsausgleich wegen der Präsenzpflicht in dieser Form nicht akzeptiert werde. Als Warg und ihre Therapeutin damit nicht zufrieden waren, stellte er weitere Gespräche und eine spätere Neubeurteilung in Aussicht. Während des Herbstsemesters erschien Warg in zwei Pflichtmodulen zwar jeden Morgen und Nachmittag zur Anwesenheitskontrolle, arbeitete aber in Absprache mit den Dozent:innen, die von ihrer Diagnose wussten, zwischendurch in einem anderen Raum. Sie hatte Grund zur Annahme, dass das kein Problem darstellte, weil sie von den Dozent:innen stets gute Rückmeldungen erhielt; kein Wort davon, dass sie ein Modul nicht bestehen könnte.
Der Hammer folgte Ende Januar beim zweiten Gespräch, diesmal mit Departementsleiterin Swetlana Heger-Davis. Von ihr erfuhr Warg völlig überraschend, dass sie die beiden Module wegen zu geringer Anwesenheit nicht bestanden hatte. Warg verliess weinend das Gespräch, das Verhalten der ZHdK ihr gegenüber belastet sie psychisch stark. Sie sagt, sie könne die Präsenzpflicht unmöglich erfüllen. Besteht sie besagte Module ein weiteres Mal nicht, wird sie automatisch exmatrikuliert. Die Entscheidung des Departements schliesse sie faktisch vom Studium aus.
Diskriminiert fühlt Warg sich auch vom sonstigen Verhalten der Verantwortlichen. Das Gespräch im Januar fand eine halbe Stunde nach der Modulbuchung fürs nächste Semester statt, für die das Wissen über das bisherige Abschneiden wichtig ist. Gygax soll von Anfang an signalisiert haben, dass er für einen Nachteilsausgleich nicht Hand bieten würde. Und Heger-Davis empfahl ihr einmal, sie solle doch an eine kleinere Hochschule wechseln, dort könne man besser auf ihre Bedürfnisse eingehen.
Andere machen es besser
Die WOZ hat Heger-Davis und Felber Rufer vom Diversity-Team mehrere Fragen zum Fall geschickt. Zurück kam eine Antwort von der Medienstelle der ZHdK, aufgrund des Daten- und Persönlichkeitsschutzes könne man sich nicht zum Fall äussern; dazu ein paar Leitbildsätze, wie vorbildlich sich die ZHdK gegenüber «Studierenden mit Beeinträchtigung» verhalte, und eine kryptische Begründung, wieso die Präsenzpflicht im Kunststudium nicht verhandelbar sein soll: «Dies mag eine Besonderheit einer Hochschule der Künste sein. Nur auf diese Weise können wir unsere Studierenden auf die bevorstehende Berufslaufbahn adäquat vorbereiten. Der Kunstmarkt ist geprägt von sozialen Herausforderungen, auf die sich die Studierenden einstellen müssen.»
Im Vergleich mit anderen Hochschulen wirkt die Praxis der ZHdK rückständig. Auf den Websites der Universitäten von Bern, Basel und Zürich wie auch der ETH und verschiedener Fachhochschulen findet man eine Übersichtsseite zum Studium mit Behinderung oder chronischen Krankheiten. Eine vergleichbare Seite sucht man bei der ZHdK vergeblich. Auch der von Ronja Warg vorgeschlagene Nachteilsausgleich würde andernorts auf offenere Ohren stossen. Eine ehemalige Mitarbeiterin der Fachstelle Studium und Behinderung der Universität Zürich etwa erzählt, dort sei es nicht nur in diversen Departementen üblich, dass betroffene Studierende dem Unterricht häufiger fernbleiben dürften. Es gebe darüber hinaus auch ein Budget, um Assistenzpersonen anzustellen, die die Studierenden beim Lernen und der Organisation ihres Studiums unterstützten.
* Name geändert.