Rammstein: «Alle Frauen, alles meins»

Nr. 23 –

Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe: Schwere Vorwürfe belasten Rammstein-Sänger Till Lindemann. Wie die Band politisch tickt? Das war schon immer die falsche Frage.

Till Lindemann vor zehn Jahren an einem Rammstein-Konzert in Schweden
Es könnte ungemütlich werden: Till Lindemann vor zehn Jahren in Schweden. Foto: Alamy

Wann sind Rammstein am Ende? Als die Band 2019 ein Lied namens «Deutschland» veröffentlichte und dazu ein Video mit einer sexualisierten Schwarzen Germania, in dem die Bandmitglieder skandalwirksam als KZ-Häftlinge am Galgen inszeniert wurden, glaubte man, jetzt hätten Rammstein eine Art Nullpunkt ihres Werks erreicht – Fortsetzung zwecklos. Letztes Jahr dann liessen sie ihr neues Album «Zeit» mit dem Lied «Adieu» enden, als wollten sie den Ruhestand ankündigen.

Nun droht Gefahr von aussen. Über die aktuellen Ereignisse hat die Band vorerst die Kontrolle verloren, und es sieht so aus, als könnte es ungemütlich werden: Um Rammstein entfaltet sich gerade ein #MeToo-Skandal, wie ihn der Pop noch nicht gesehen hat. Diverse Berichte von Frauen legen nahe, dass Sänger Till Lindemann ein System etabliert hat, um junge Frauen für Sex zu casten und sie sexuell gefügig zu machen.

Die Sache ins Rollen gebracht hat vor zwei Wochen die 24-jährige Irin Shelby Lynn, die in einer Reihe von Posts ihre Vermutung darlegte, im Backstagebereich eines Rammstein-Konzerts in Vilnius gegen ihren Willen unter Drogen gesetzt worden zu sein. Ihre Erinnerung sei verschwommen und lückenhaft geworden, nachdem sie einen von Lindemann offerierten Shot getrunken habe. Später habe sie in einem Nebenraum Sex mit Lindemann abgelehnt, worauf dieser wütend geworden sei. Am nächsten Morgen sei sie mit blauen Flecken im Hotel aufgewacht. Lynn begann, ähnliche Berichte von anderen Frauen zu posten.

Lieber schweigen

Shelby Lynn, die für ihre Posts auch stark angefeindet wird, hat viele Frauen ermutigt, von ihren Erlebnissen zu berichten. Gerade hat etwa die bekannte deutsche Youtuberin Kayla Shyx ein vielbeachtetes Video über ihren unheimlichen Besuch einer Afterparty mit anderen jungen Frauen veröffentlicht. Kurz nach dem Erlebnis habe ihr Exmanager ihr gesagt, im Business wisse man davon, aber sie solle lieber nicht darüber sprechen. Es ist anzunehmen, dass im Popgeschäft weitere solche Geschichten schlummern.

Breit abgestützte Recherchen der «Süddeutschen Zeitung» («SZ») zusammen mit dem Norddeutschen Rundfunk sowie der «Welt am Sonntag» zeichnen inzwischen ein umfassenderes Bild. Demnach soll Till Lindemann routinemässig den Graubereich zwischen problematischer Annäherung, Machtmissbrauch und mutmasslichen Übergriffen ansteuern. Ein wichtiges Scharnier dieses Systems ist eine Frau namens Alena Makeeva, von der sich die Band diese Woche getrennt hat: Einst selber Groupie, nannte sie sich «Casting Director» von Rammstein. Sie kontaktierte auf Instagram gezielt junge Frauen, um sie in eine «Row Zero» direkt vor der Bühne oder zu Partys mit der Band vor und nach dem Konzert einzuladen. Es herrschte ein Dresscode, vor dem Eintritt in den Backstage wurde den Frauen das Handy abgenommen, sie wurden fotografiert oder gefilmt. Oft war dann nur Lindemann zugegen, manchmal liess er sich Frauen für Sex in einen separaten Raum bringen, manchmal gar während einer kurzen Konzertpause.

Es fragt sich, wie viel freie Zustimmung in einer Situation mit derart grossem Machtgefälle, in der die teils sehr jungen Frauen auf ihr Idol treffen, überhaupt möglich ist. Mehrere Frauen schildern, wie sie sich unter Druck gesetzt oder überrumpelt fühlten. Die Berichte legen nahe, dass ihnen auch Substanzen verabreicht wurden, die es unmöglich machen, noch bewusste Entscheidungen zu treffen, und das Erinnerungsvermögen stark beeinträchtigen.

Stress mit Frauen

Der kritische Diskurs über Rammstein konzentrierte sich bislang vor allem darauf, was ihre Neigung zu faschistoider Ästhetik über ihre tatsächliche politische Haltung aussagt. Doch diese Frage führte schon immer in die Irre. Politik spielt in der Welt der Band schlicht keine Rolle. Diese Welt dreht sich um eine stählerne Hypermännlichkeit, wie sie auch dem Faschismus nicht fremd ist, der Sound dazu ein martialischer Marsch. Schon auf der ersten Platte, «Herzeleid» (1995), findet man mehrere Vergewaltigungsfantasien; auf dem Cover wölben sich die glänzenden nackten Oberkörper der Musiker. 1997 berichtete Gitarrist Richard Kruspe in einem Interview, wie alle in der Band damals «Stress mit Frauen» gehabt hätten, bis zu «blankem Hass» sei das gegangen; die Verbindung darüber sei die «Urkraft» hinter Rammstein.

Der deutsche Kulturbetrieb pflegte diese Misogynie bei Rammstein beharrlich zu übersehen, Till Lindemann selber wurde als Poet überhöht. Zu seinen erklärten Fans zählten sich Schriftsteller wie Martin Suter oder Benjamin von Stuckrad-Barre, und der «SZ»-Feuilletonchef Alexander Gorkow hat zwei Gedichtbände von Lindemann herausgegeben. Einer davon heisst «100 Gedichte» und ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Der Verlag hat nun die Zusammenarbeit mit Lindemann gekündigt und dafür eine seltsame Begründung geliefert: Angeblich hat man erst jetzt von einem vor drei Jahren veröffentlichten Video zum Song «Platz eins» erfahren, in dem das Buch prominent inszeniert wird. Das Video, das explizite grobe Sexszenen mit Lindemann und diversen Frauen zeigt, soll mit Groupies gedreht worden sein. Eine Zeile des Songs geht so: «Alle Frauen, alles meins / Alles dreht sich nur um mich».

Am 17. und 18. Juni sollen Rammstein wie geplant im Stadion Wankdorf in Bern auftreten.