Kulturpolitik: Herr Bundesrat, Sie rechnen falsch!

Nr. 28 –

Zur Kulturbotschaft für die kommenden Jahre hat das Departement von Alain Berset einen Bericht über die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden vorgelegt – mit sehr schiefen Zahlen, wo es ums Einkommen geht.

Dreh für «Mais im Bundeshuus»
Von wem reden die? Freischaffende kommen in der Lohnstudie des Bundes nicht vor. Dreh für «Mais im Bundeshuus» von Jean-Stéphane Bron, 2003.   Foto: Lukas Lehmann, Keystone


Kulturarbeit ist notorisch prekär und unterbezahlt? Alles halb so schlimm, könnte man meinen, wenn man sich den neuen Bericht des Bundesrats zur sozialen Sicherheit der Kulturschaffenden in der Schweiz anschaut. Die Antwort auf ein Postulat der Mitte-Ständerätin Marianne Maret vom März 2021 wartet nämlich mit erstaunlichen Zahlen auf.

So soll der durchschnittliche Monatslohn im Kulturbereich rund 7600 Franken brutto betragen. Das entspräche einem Jahreseinkommen von über 90 000 Franken, womit der Kultursektor angeblich nur gerade 2,8 Prozent unter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt läge. So weit eigentlich ganz okay – woher also die Klagen von prekarisierten Kulturschaffenden?

Die Aussagekraft dieser Daten ist allerdings nicht einfach nur «beschränkt», wie der Bundesrat im Bericht selber einräumt. Man muss da schon deutlicher werden: Die Zahlen sind irreführend und grob verzerrend, weil ihre Basis falsch ist – und zwar auf mehreren Ebenen.

Erstens, weil hier monatliche Löhne auf Vollzeitpensen hochgerechnet werden, die Erhebung also nicht etwa tatsächlich erzielte Einkünfte abbildet – erst recht nicht, wenn man berücksichtigt, dass befristete Verträge und Teilzeitpensen im Kulturbereich eher die Regel als die Ausnahme sind. Zweitens ist der Kultursektor sehr weit gefasst: Gemeint ist hier die ganze sogenannte Kreativwirtschaft, wozu der Bund namentlich auch «Architekten, Journalisten und weitere Tätigkeiten im Umfeld der Kultur» zählt. Vor allem aber: In der Lohnstrukturerhebung des Bundesamts für Statistik werden lediglich Betriebe mit drei und mehr Beschäftigten erfasst, also weder Kleinstbetriebe noch Selbstständigerwerbende. Zu deren Einkommen liegen laut Bundesrat kaum Statistiken vor.

Freischaffende nicht erfasst

In Kulturberufen lag der Anteil an Freischaffenden im Jahr 2020 bei 45,6 Prozent, weit über dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt (12,5 Prozent). Da ist es einigermassen absurd, wenn der Bundesrat in seinem Bericht trotzdem irgendwelche Schlüsse über die Erwerbssituation im Kulturbereich zieht, obwohl das Gros der Kleinbetriebe und der Freischaffenden gar nicht erfasst wird – mithin gerade die, die zweifellos weniger gut abgesichert sind und tendenziell schlechter verdienen als Kulturschaffende in grösseren Betrieben.

Immerhin verweist der Bericht wiederholt auch auf eine Studie, die der Verein Suisseculture Sociale zusammen mit der Kulturstiftung Pro Helvetia in Auftrag gegeben hatte. Darin kam das Forschungsinstitut Ecoplan vor zwei Jahren zu ganz anderen Zahlen: Sechzig Prozent der Kulturschaffenden gaben dort für die Jahre vor Corona ein Jahreseinkommen von unter 40 000 Franken netto an. Der Bundesrat schreibt dazu: «Faktisch dürfte sich das Einkommen der Kulturschaffenden […] zwischen den beiden Erhebungen befinden.» Was angesichts der Spannweite faktisch eine ziemliche Nullaussage ist.

Ähnlich wie in der Ecoplan-Studie sieht es aus, wenn man etwa im Bereich Film die zwei Lohnumfragen studiert, die der Verband Filmregie und Drehbuch Schweiz in den Jahren 2020 und 2021 durchgeführt hat. Diese weisen für Drehbuch und Regie bei einem Kinospielfilm einen Tagesverdienst von knapp 250 Franken aus, bei Dokumentarfilmen sind es sogar nur knapp 150 Franken. Nach der Methode des Bundes hochgerechnet, entspricht das einem Monatslohn von 5000 Franken brutto beim Spielfilm, 3000 Franken beim Dokumentarfilm. Da erstaunt es auch nicht, dass nur ein Drittel der Filmschaffenden regelmässig Beiträge in die zweite Säule zahlen – weshalb der Verband in seiner Studie von 2021 zum Schluss kommt, dass Altersarmut bei vielen von ihnen «gewissermassen bereits vorprogrammiert» sei.

Wer kann sich Vorsorge leisten?

Das ist offenbar doch auch dem Bundesrat klar. Die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden bildet jedenfalls einen Schwerpunkt in der neuen Kulturbotschaft für die Jahre 2025 bis 2028 – namentlich im Hinblick auf angemessene Entschädigung für kulturelle Arbeit und auf die berufliche Vorsorge. Wie der Bundesrat in seinem Bericht lapidar anmerkt: «Nur wer genügend Einkommen erzielt, kann sich eine angemessene Altersvorsorge leisten.» Der Bund will deshalb bei Fördergesuchen künftig sicherstellen, dass darin angemessene Löhne für Kulturschaffende vorgesehen sind – und Gesuche ablehnen, wenn die vorgesehenen Löhne nicht den Empfehlungen der relevanten Branchenverbände entsprechen.

Das allerdings ist nicht neu: Schon in der letzten Kulturbotschaft hat sich der Bund verpflichtet, Fördergelder an die Bedingung zu knüpfen, dass die Lohnempfehlungen der Branchenverbände eingehalten werden. Namentlich beim Film hätte der Bund in dieser Hinsicht tatsächlich eine direkte Handhabe. Ansonsten ist die Kulturförderung in der Schweiz weitgehend Sache der Gemeinden und der Kantone; und ob diese dem Beispiel des Bundes folgen würden, ist fraglich.

Mit der Kulturbotschaft hat der Bundesrat zumindest ein Bekenntnis zu einer besseren sozialen Absicherung der Kulturschaffenden abgegeben. Man kann nur hoffen, dass das in der Praxis dann fundierter erfolgt als dort, wo der Bund die Einkünfte der Kulturschaffenden hochrechnet. Prädikat: unbrauchbar.

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Kommentare

Kommentar von Fliegendruck

Do., 13.07.2023 - 20:28

«Architekten, Journalisten und weitere Tätigkeiten im Umfeld der Kultur» stemmen die Statistik ins schier uferlose. na, dann braucht s gar nimmer n Dark_Net um sich n Bild zu schreinern vom Verdienst.
(Die zwei Spalten rechts davon beschreiben GAV, Einstiegslohn der Journalistentätigkeit 1995 und heute.)