Putschserie in Afrika: «Es gibt Aussicht auf Demokratie»
Warum bloss werden die neuen Militärherrscher in Afrika von so vielen Menschen bejubelt? Der beninische Konfliktforscher und Ökonom Gilles Yabi empfiehlt, bei der Analyse weder Frankreich noch Russland ins Zentrum zu stellen.
WOZ: Herr Yabi, kann es einen guten Militärputsch geben?
Gilles Yabi: Historisch gesehen hat es tatsächlich schon Militärputsche in Afrika und anderswo gegeben, die es ermöglicht haben, extrem gewalttätige Regimes zu stürzen. Die grosse Mehrheit der Militärputsche ist aber schlecht, weil sie schwerwiegende Probleme in einem Land widerspiegeln, die anschliessend weiterexistieren.
In Afrika fanden in den vergangenen Jahren viele erfolgreiche Coups statt, zuletzt jener in Gabun. Wie ist dieser einzuordnen?
In Gabun war die Bongo-Dynastie seit fast 56 Jahren an der Macht; schon Vater Omar Bongo war sehr lange Präsident, auf seinen Tod folgte Sohn Ali. Der wurde 2009 zwar gewählt, aber unter sehr zweifelhaften Umständen. Als Präsident war er wohl nie die echte Wahl der gabunischen Bevölkerung, auch nicht 2016 oder in diesem August. Die Reaktionen der Menschen zeigen jetzt, dass viele das Ende eines Regimes, das sie sich nie ausgesucht haben, begrüssen. Das heisst nicht, dass dies ein «guter Putsch» sein muss – wir wissen nicht, was folgt. Aber es gibt zumindest die Aussicht auf einen demokratischen Übergang.
Bis jetzt folgen die Geschehnisse dem typischen Drehbuch, das wir zuletzt im «Putschgürtel» von Guinea bis in den Sudan gesehen haben: Die Militärs übernehmen die Macht, stellen das Staatsoberhaupt unter Hausarrest und versprechen einen Übergangsprozess zu einer zivilen Regierung. Glaubwürdig vorangebracht hat diesen bislang aber keine der Juntas. Warum sollte es diesmal anders sein?
Es gibt natürlich keine Sicherheit. Im Moment zeichnet sich für politische und soziale Akteure in Gabun aber die Möglichkeit ab, beim Übergang eine Rolle zu spielen. Zumindest hat General Nguema, der mittlerweile zum Übergangspräsidenten ernannt wurde, erste Signale in Richtung einer breiten Konsultation der Bevölkerung ausgesandt. Es gibt keine Garantie, dass den Worten Taten folgen. Wäre aber Ali Bongo erneut zum Präsidenten erklärt worden, hätte das bekannte System auf unbestimmte Zeit einfach weiterbestanden.
Der Analyst
Der beninische Ökonom und Konfliktforscher Gilles Yabi lebt im Senegal. Seit Jahren analysiert er das Geschehen auf dem afrikanischen Kontinent. Er war unter anderem für den Thinktank International Crisis Group tätig und hat 2014 in Dakar den Thinktank Wathi gegründet, der sich als Raum für Debatten und Denkanstösse zu den sozioökonomischen und politischen Entwicklungen in Westafrika versteht.
Ob in Gabun oder in den betroffenen Sahelstaaten: Besonders unter jungen Menschen in den urbanen Zentren scheinen die Militärs beträchtliche Unterstützung zu finden. Ist Afrikas Jugend demokratieverdrossen?
Die afrikanischen Länder haben alle ihre ganz eigene Geschichte, ihren eigenen wirtschaftlichen und sozialen Kontext. Und sie sind mit äusseren Einflüssen konfrontiert, die eine wichtige Rolle spielen. Wenn nun viele junge Menschen in diesen Ländern die Staatsstreiche bejubelten, dann heisst das nicht, dass sie dauerhaft eine Militärregierung bevorzugen, sondern dass sie revoltieren gegen die Art, wie die Länder zuvor regiert wurden. Weil sie etwa keinen Job, keine Einkünfte und keine Hoffnung haben, dass sich etwas ändert. Und weil nur ein kleiner Teil der Bevölkerung von den Reichtümern ihres Landes profitiert. Ob die abgesetzte Regierung demokratisch an die Macht kam oder nicht, ist dabei nebensächlich. Das heisst: Nicht das Prinzip der Demokratie wird abgelehnt; wichtig ist der Eindruck, ob das Land gut oder schlecht geführt wird, im Interesse der Bevölkerung oder nicht.
Sprechen Sie auch vom Niger, wo Präsident Mohamed Bazoum 2021 demokratisch an die Macht gekommen ist? Der Rückhalt für den Coup gegen ihn im Juli kam, von aussen betrachtet, überraschend, weil sich Sicherheitslage und Wirtschaft zuletzt eher verbessert hatten.
Ja, der Coup im Niger ist etwas schwerer zu verstehen. Zum einen hat der Niger eine lange Geschichte der Putsche und Militärregierungen, die Präsenz des Militärs als politische Autorität ist für die Menschen nichts Neues. Hinzu kommt die schwierige Sicherheitslage im Land, auch wenn sie besser ist als in den benachbarten Staaten Mali und Burkina Faso. Es gibt sehr viel Frustration, die sich nicht unbedingt gegen Präsident Bazoum richtete, sondern gegen das System seiner Partei PNDS, die bereits seit zwölf Jahren an der Macht ist. Viele begrüssen das Ende von deren Vorherrschaft.
Letztes Wochenende forderten im Niger Tausende den vollständigen Abzug der französischen Truppen. Bei den Protesten wird oft die Françafrique angeprangert, also das Beziehungssystem, das Frankreich zu seinen einstigen Kolonien in Afrika aufbaute …
Hinter dem Vorwurf steckt das Gefühl, dass diese mit der Unabhängigkeit in den sechziger Jahren gar nie wirkliche Souveränität erlangt haben.
Ist das Gefühl gerechtfertigt?
Ja, mit Blick auf die Geschichte einiger Länder durchaus. Gabun ist eines der deutlichsten Beispiele: Omar Bongo, der das Land jahrzehntelang regierte, stand Frankreich von Anfang an sehr nah. Er war Frankreichs erste Wahl, weil er weiterhin diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen garantierte. Vor allem mit Ländern mit strategisch wichtigen Ressourcen – Erdöl, Mineralien oder im Fall des Niger Uran – schloss Frankreich systematisch Verteidigungsabkommen ab, um seinen privilegierten Zugang beizubehalten. Das alles ist umfänglich dokumentiert.
Nun schien Frankreich von den letzten Staatsstreichen überrumpelt. Wird sein Einfluss in den betroffenen Ländern heute überschätzt?
Auf jeden Fall. Die historischen Beziehungen wirken sich zwar noch immer deutlich aus, in manchen Ländern stärker als in anderen. Aber die Situation ist nicht mehr gleich wie in den Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit. Die wirtschaftlichen Partner wurden etwa stark diversifiziert. Im Niger, der Frankreich lange einen exklusiven Zugang zu den Uranvorkommen einräumen musste, handelte Präsident Mamadou Tandja um die Jahrtausendwende die Verträge neu aus. China und weitere Player sicherten sich Förderlizenzen. In den Sahelstaaten verliert Frankreich seit zehn, zwanzig Jahren wirtschaftlich an Einfluss; heute verfolgen dort auch andere grosse und mittelgrosse Mächte ihre Wirtschaftsinteressen. Sie gehen kaum tugendhafter vor als Frankreich. Aber sie haben nicht dieselbe Vergangenheit.
Nun werden im Sahel bei Protesten immer wieder russische Flaggen geschwenkt. Wie repräsentativ ist dieses Stimmungsbild?
Da muss man aufpassen. Ein paar solche Fahnen lassen sich einfach nähen, und lokale Gruppen lassen sich gern dafür bezahlen, sie vor Kameras zu schwenken. Es gibt viel Manipulation, auch über die Desinformationskampagnen der Söldnergruppe Wagner auf Social Media. Und die russische Fahne bietet halt auch einen einfachen Weg, um zu zeigen: Wir wollen die Franzosen nicht mehr. Grundsätzlich habe ich nicht den Eindruck, dass sich viele junge Menschen Russland zuwenden. Es gibt im Sahel aber die Erwartung, von Russland bessere Unterstützung bei der Terrorbekämpfung zu bekommen als von Frankreich – sei es durch Waffenlieferungen oder im direkten Kampf. Für manche Regierungen mag Russland wirtschaftlich nicht unbedingt der interessanteste Partner sein, aber wenn es um Rüstungsgüter geht, hat es ein interessantes Angebot.
Was sollte der Westen demgegenüber bieten?
Der wichtigste Rat lautet vielleicht: Hört zu, und zwar der ganzen Vielfalt an Akteuren und Meinungen. Es geht darum anzuerkennen, dass manche Länder gerade dabei sind, ihre eigene Geschichte zu schreiben. Westliche Länder sollten auch zugeben, dass sie in Afrika Eigeninteressen verfolgen und nicht nur aus Grosszügigkeit handeln. Und wo sie den Interessen von Menschen und Regierungen in Afrika zuwiderlaufen, muss akzeptiert werden, dass diese beim Entwurf ihrer Zukunft mehr zu sagen haben wollen.