Solidarische Schweiz: Ohne Demos geht es nicht

Nr. 37 –

An diesem Freitag findet erneut ein globaler Klimastreik statt, mit Demonstrationen in vielen Städten, auch in der Schweiz. Für den Tag darauf rufen die Gewerkschaften nach Bern zur «Kaufkraft-Demo» und fordern höhere Löhne und Renten, eine Deckelung der Mieten und die Senkung der Krankenkassenprämien. Die beiden Anlässe haben mehr miteinander gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint.

Dass Klimademonstrationen nötiger denn je sind, sollte sofort einleuchten. Immer noch wird viel zu wenig unternommen, um den Ausstoss von Treibhausgasen zu senken. Dieser Sommer gibt eine Ahnung von dem, was auf die Menschheit zukommt. Obwohl die Durchschnittstemperatur seit der Industrialisierung «erst» um 1,2 Grad angestiegen ist, häufen sich die Katastrophen. Hitzewellen, Dürren, verheerende Überschwemmungen, wie jetzt in Libyen, werden zahlreicher. Das Verdrängen der Klimakrise muss aufhören, der Klimastreik fordert zu Recht einen grundsätzlichen Wandel (vgl. «Neue Energien»).

Reiche Industriestaaten wie die Schweiz sollten gegenüber den Ländern des Südens ihre Klimaschulden bezahlen. Und sie sollten noch viel mehr Klimaflüchtlinge aufnehmen, statt unsägliche Diskussionen über die Grenze des Bevölkerungswachstums zu führen.

Doch weiterhin werden neue Öl- und Gasvorkommen erschlossen, und es entstehen neue Kohlekraftwerke. Selbst in so reichen Ländern wie der Schweiz gehen der Umbau zu einer fossilfreien Wirtschaft und die energetische Sanierung aller Bauten nur im Schneckentempo voran. So hat der Nationalrat diese Woche eine generelle Solarpflicht für Neubauten abgelehnt, aber dem Ausbau der Autobahn A1 auf sechs Spuren zugestimmt.

Ähnlich blockiert das Parlament soziale Anliegen, für die sich die Gewerkschaften mit ihrer Demo vom Samstag starkmachen. Die Teuerung hat in der Schweiz für viele zu einer realen Lohnsenkung geführt. Gleichzeitig ist das Parlament weder bei der Kinderbetreuung noch bei der Verbilligung der Krankenkassenprämien bereit, wesentlich mehr Geld lockerzumachen; nicht einmal den AHV-Rentner:innen soll der volle Teuerungsausgleich bezahlt werden. Auch bei den Mieten, die viele Haushalte immer schwerer belasten, ist es nicht bereit, eine Mietzinskontrolle einzuführen (vgl. «FDP und SVP auf Autopilot»). Letztlich bedeutet das für die Haushalte mit mittleren und tiefen Einkommen ein immer knapperes Budget. Viele Menschen, die befürchten müssen zu verarmen – das ist brandgefährlich. Die Rechte profitiert von solchen Abstiegsängsten. Wer nicht weiss, wie er über die Runden kommt, wählt nicht per se links oder tritt einer Gewerkschaft bei – und hat vorerst andere Sorgen als den Klimaschutz.

Als das derzeitige Parlament vor vier Jahren gewählt wurde, bestand noch leise Hoffnung. Damals war die Klimastreikbewegung auf ihrem Höhepunkt. Gleichzeitig war im Juni 2019 auch der Frauenstreiktag mit einer Beteiligung von rund einer halben Million Menschen ein riesiger Erfolg. Diese Mobilisierung auf den Strassen wirkte sich im Oktober bei den Wahlen aus: Die Grüne Partei gewann 6,1 Prozentpunkte Stimmen hinzu. Auch wenn die SP 2 Prozentpunkte verlor, wurde das rot-grüne Lager deutlich gestärkt. Zudem wurden mehr Frauen als je zuvor ins Parlament gewählt.

Doch die Schweiz ist bürgerlich geblieben. Progressive Veränderungen sind hierzulande nur zu haben, wenn der Druck der Strasse nicht aufhört. Die Coronapandemie und auch die vielen Diskussionen über die richtige Strategie haben den Klimastreik allerdings geschwächt. Der Versuch einer vertieften Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften ist bislang gescheitert. Dabei bräuchte es dringender denn je einen gemeinsamen Kampf für eine solidarische Schweiz und eine grundlegende Umverteilung des Reichtums.

Glaubt man den Umfragen, könnte das Parlament nach den kommenden Wahlen vom 22. Oktober wieder ein Stück nach rechts rutschen. Umso wichtiger sind die Demonstrationen vom Freitag wie vom Samstag. Sie helfen nicht nur den links-grünen Parteien im Wahlkampf, sondern auch den Bewegungen ausserhalb des Parlaments. Je mehr Leute daran teilnehmen, desto besser.