Durch den Monat mit Ariane Andereggen (Teil 3): Welches Potenzial haben Freundschaften?

Nr. 38 –

Mehr Diversität bedeute auch mehr Konflikt, sagt die Künstlerin Ariane Andereggen. Sie wünscht sich mehr Gelassenheit – und Freude daran, wenn Fehler passieren.  

Portraitfoto von Ariane Andereggen
«Eine Zusammenarbeit, die ich als kritische Freundschaft verstehe, kann sich erlauben, vieles infrage zu stellen. Sie ist ein Versuch, die Welt solidarisch zu denken»: Ariane Andereggen.

WOZ: Ariane Andereggen, welche Rolle spielt Humor in Ihrer Arbeit?

Ariane Andereggen: Humor ist ein wichtiges Mittel innerhalb meiner Kunstproduktion. Ich überlege mir dabei sehr genau, welche Art davon ich nutzen will und welche nicht. Wie anstrengend Humor als Arbeit ist, wird ja oft unterschätzt. Ich mag es, wenn gelacht wird, aber nicht auf Kosten anderer Leute. Diese Art von Wohlfühldissen lehne ich ab. Ich mache mich auch gern über mich selbst lustig, das geschieht aber aus einer Reflexion heraus – ich finde Ulknudeln und Spasskanonen schlimm. Also ganz grundsätzlich: Ich will weder mich noch andere zur Witzfigur machen. Ich habe mich auch an Ironie abgearbeitet und wie sie Distanz schafft. Das ist jetzt aber eher out. Viel mehr mag ich sowieso den Humor, der aus Überraschungsmomenten heraus entsteht, im Zeigen von Unerwartetem.

Zum Beispiel?

Ich arbeite gerne mit Montage oder Cut-ups. In meinem neuen Film habe ich diese Methoden oft verwendet: Ich stelle Dinge nebeneinander, die man eh kennt, aber die zuvor nicht unbedingt im Zusammenhang standen. Das kann dann erst mal lustig wirken, aber dann, beim zweiten oder dritten Hinschauen, tun sich auf einmal neue Bedeutungen auf. Das heisst: Ich arbeite mit dem, was da ist. Finde ich sowieso interessanter als das vermeintlich Genuine. Grundsätzlich mag ich Kunstformen, die das Ungefähre fassen und erhalten können, die Übergänge, Transitionen, Ränder, Brüche, Leerstellen, Spektren zeigen.

Haben Sie deswegen die Form des «Videoessays» gewählt, wie Sie Ihren Film auch nennen?

Mich interessiert dieser essayistische Zugang, ja. Dazu hat mich unter anderem auch Didier Eribons «Rückkehr nach Reims» inspiriert. Auch er kehrt als Aufsteigerkind an den Ort zurück, wo er aufgewachsen ist. Mich hat fasziniert, wie er es schafft, nicht zu skandalisieren, sondern die Ambivalenzen auszuhalten. In meiner eigenen Arbeit hilft mir dabei eben wiederum der Humor. Auch dabei, mit dem Gefühl des Unbefugtseins klarzukommen.

Was meinen Sie damit?

Für mich ist das immer eine grosse Frage geblieben: Darf ich im Kunstbetrieb überhaupt mitmachen? Das ewige Hochstaplersyndrom der Aufsteigerin … Diese Frage ist aber gerade für viele aktuell – wer überhaupt Kunst machen kann und darf und aus welchen Gründen. Heute sitzen mehr Leute mit am Tisch, und das ist auch gut so: Eine Person, die der Norm entspricht, muss jetzt halt mal schweigen. Aber es ist klar, dass es mit mehr Leuten am Tisch auch mehr Konflikte gibt. Da wünschte ich mir manchmal, es wäre etwas mehr Mut da, um diese Konflikte auszutragen. Dass das angstfreier geschehen kann.

Von wem bräuchte es mehr Mut?

Am liebsten von allen. Auch mehr Gelassenheit und mehr Freude daran, dass Fehler passieren. Aber davon sehe ich im Moment nicht so viel – dabei komme ich mit jedem Fehler, der passiert, einen Schritt weiter. Es ist komplex: Um in diesem Arbeitsfeld gehört zu werden, muss ich mir mein identitätspolitisches Schild «Klasse» oder «Ageism» umhängen, das ich ja eigentlich loswerden will. Und wenn dann daraus ein Alleinstellungsmerkmal wird, stecke ich am Ende wieder in einem Verteilungskampf. Das verunmöglicht auch vieles.

Der Kuchen ist zu klein?

Ja. Demokratie geht eigentlich nur so lange, wie es etwas zu verteilen gibt, danach wird es gleich ganz komisch. Und eben, zu wenig Geld zu haben, macht mich eher konfliktscheu. Die Frage nach der eigenen Position im Kunstbetrieb, der eigenen Identität ist existenziell. Es kann mir gelegentlich passieren, dass ich als ältere, weisse Person neuerdings einem alten patriarchalen System zugeordnet werde, obwohl ich mein Leben lang versucht habe, den ganzen Scheiss infrage zu stellen. Konzepte wie Talent, Leistungsshows oder Bravsein sind ja nichts, an dem ich mich orientiert hätte – ich bin schliesslich auch punksozialisiert. Aber zum Glück gibt es auch andere Möglichkeiten, Künstlerin zu sein, als nur eine klassische «Beeindruckungsmaschine».

Welche?

Zum Beispiel radikale Experimente auf Basis von Freundschaft. Ich bin sehr froh, dass meine Arbeitsbeziehungen nicht mehr so homogen und eurozentrisch wie früher sind, dass ich jetzt mit Perspektiven und Freundschaften zu tun habe, die Heteronormativität oder Klassenstereotype aufweichen.

Haben Freundschaften ein künstlerisches Potenzial?

Unbedingt. Eine Zusammenarbeit, die ich als kritische Freundschaft verstehe, kann sich erlauben, vieles infrage zu stellen. Sie ist ein Versuch, die Welt solidarisch zu denken. Das braucht aber auch die Bereitschaft, sich erst mal vom Qualitätsbegriff zu verabschieden, auch wenn ganz unklare ästhetische Formate dabei rauskommen. Wenn ich auf diese Weise über Privilegien nachdenke, habe ich in der Regel nicht das Gefühl, mir wird was weggenommen – ich sehe eher, was es zu teilen gibt. Freundschaften kann man ja auch zur Umverteilung nutzen – viele erschrecken bei dem Wort ja. Aber genau darum geht es.

Der Film «Klassenverhältnisse am Bodensee» von Ariane Andereggen (53) läuft derzeit im Kino.