Durch den Monat mit Ariane Andereggen (Teil 4): Wie spielt man das Älterwerden?

Nr. 39 –

Sich im eigenen Körper wohlzufühlen, ist eigentlich nicht zu viel verlangt, findet Ariane Andereggen. Sie wünscht sich weniger Zuschreibungen – egal für welches Alter.

Ariane Andereggen
«Ich fände es spannend, über altersunabhängige Rollen als Besetzungsgrundlage nachzudenken. Braucht es überhaupt ein bestimmtes Alter für diese Figur?»: Ariane Andereggen.

WOZ: Ariane Andereggen, kürzlich haben Sie am Zürcher Theaterspektakel eine «Age Night Show» gezeigt. Und in Ihrer Soloperformance «Age on Stage» untersuchen Sie, warum Schauspielerinnen zwischen vierzig und sechzig von den Bühnen verschwinden. Was haben Sie herausgefunden?

Ariane Andereggen: Mich interessiert dieses Alter, seit ich selber fünfzig geworden bin; davor war es anders. Es geht in diesem sogenannten «mittleren Alter» tatsächlich um das Dazwischensein – ich bin nicht mehr jung, aber auch nicht wirklich alt. So eine verdächtige Grauzone … Das hat damit zu tun, dass die Reproduktionsphase abgeschlossen ist, meine zugeschriebene Rolle als Frau nicht mehr an Sorgearbeit geknüpft ist, ich aber auch noch keine Grossmutter bin, die sich wiederum kümmert. Als ältere Schauspielerin stellt sich die Frage, ob und wie ich mich selbst darstellen kann oder wie ich von anderen dargestellt werde. Irgendwo zwischen Objekt, Subjekt und Projekt werde ich unlesbar und damit unsichtbar. Es ist auch die Zeit der Menopause, die in der Öffentlichkeit entweder gar nicht oder dann so aufgeregt-banalpsychologisch als «Tabuthema Wechseljahre» diskutiert wird.

Was wäre ein besserer Umgang?

Er müsste auf jeden Fall entspannter sein – und informierter. Es passieren eben Dinge im Körper: Kann sein, dass du zehn Kilo zunimmst, wenn du dich nicht einem krassen Diätregime unterwirfst. Ich finde es ganz okay, ein bisschen schwerer geworden zu sein. Sich damit wohlzufühlen, ist schon per se subversiv. Kann auch sein, dass du lustige Launen hast, die du nicht ganz beherrschen kannst. Oder willst. Das wird auch sofort sanktioniert, wenn du das Gebot der «weiblichen Nichtaggressivität» überschreitest.

Was passiert dann?

Sogenannten älteren Frauen wird gern ihr Wutpotenzial abgesprochen, indem sie als frustriert oder verbittert abgetan werden. Aber bitter wird man, wenn man für die eigene Wut kein Ventil hat; das kann allen und in jedem Alter passieren. Von Iggy Pop würde niemand sagen, er sei frustriert, weil er böse dreinschaut und sich wütend äussert. Diese unterschiedliche Bewertung älterer Menschen, je nachdem, ob sie als Mann oder als Frau gelesen werden, oder das Vergleichen von älteren weiblichen Körpern mit jüngeren, hat auch mit dem männlich geprägten Blick zu tun.

Hat sich da gar nichts verändert?

Na ja, die Bevormundung, die daraus resultiert, die Forderungen, sich schöner anzuziehen, wenigstens tough zu sein, wenn man nicht so hübsch ist, und so weiter, die wurden früher ungenierter ausgesprochen. Heute geschieht das verdeckter. Aber ich muss auch sagen, ich habe wirklich grosse Hoffnungen in die nächsten Generationen, es ist schon jetzt so vieles besser geworden. Grundsätzlich geht es mir einfach darum zu sagen, dass wir alle ständig in Alterungsprozessen stecken, dass das normal ist – und dass ich in keinem Alter darauf reduziert werden will. Ich wünschte mir mehr Altersneutralität.

Was meinen Sie damit?

Ich fände es zum Beispiel spannend, im Theater und im Film auch mal über altersunabhängige Rollen als Besetzungsgrundlage nachzudenken. Sich also zu fragen: Braucht es überhaupt ein bestimmtes Alter für diese Figur? Oder ist es eigentlich egal? Gibt es andere Aspekte, die viel wesentlicher für die Rolle sind?

Welche stereotypen Rollen werden Frauen im sogenannten mittleren Alter zugeschrieben?

Oft sind das verdächtige Figuren, die nicht in einen Familien- oder Beziehungskontext eingebettet sind. Kalte Karrierefrauen, Intrigantinnen, die fiese Nachbarin, die keinen Beruf hat, aber dafür ständig alle kontrolliert … Oder halt die Mutter, die Teenagerinnen nervt. Gegen die bösen Rollen habe ich eigentlich nichts, die machen auch zum Spielen Spass. Es nervt einfach, wenn es Stereotype sind. Man muss schon eine sehr gute Drehbuchautorin sein, um mit Stereotypen gescheit umzugehen. Aber oft sind solche Rollen gar nicht unbedingt vorgesehen, es gibt leider nicht viel Auswahl. Da wird das Verschwinden ganz konkret.

Kim Basinger hat mit 44 einen Oscar für ihre Rolle in «L. A. Confidential» bekommen, danach war sie ein paar Jahre lang weg vom Fenster. Einen kommerziellen Erfolg hatte sie erst wieder mit «8 Mile» in der Rolle als Mutter von Eminem. Es gibt wenig Erzählungen und Mythologien für dieses Zwischenalter, obwohl es eigentlich superinteressant ist. Die Alterskarriere ab sechzig ist dann wieder eine Möglichkeit, aber auch keine unproblematische.

Warum?

Die Chance auf eine charismatisch gereifte Frauenrolle gibt es nur dann, wenn du die Durststrecke irgendwie finanziell durchgehalten hast. Dann kannst du die Rolle der älteren, kompetenten Staatsanwältin oder einer gestandenen Politikerin spielen, die gesellschaftliche Verantwortung übernimmt und eine positive Macht hat. Oder wenn du dich in Richtung «Grossmutter» geläutert hast, also wieder eine Care-Funktion hast und darstellen kannst. Von ihr wird erwartet, dass sie mit sich im Reinen ist, weil man ihr keinen Zeithorizont mehr zugesteht. Sie soll dankbar sein und sich mit dem abfinden, was sie hat. Aber dieses «Jetzt zieh dich zurück und geniess deinen Garten» ist eine verdammte Zumutung.

Ariane Andereggen (53) ist Schauspielerin, Performerin und Videokünstlerin.