Bündnis Sahra Wagenknecht: Ohne einen Funken Klassenanalyse
Sahra Wagenknecht macht ernst und gründet zu Jahresbeginn eine eigene Partei. Ob das den Aufstieg der AfD in Deutschland stoppen wird, ist unsicher.
«Make Germany great again» – so liesse sich zusammenfassen, was Sahra Wagenknecht am Montagvormittag bei einer Pressekonferenz in Berlin vor einem brechend vollen Saal ausgebreitet hat: Die deutsche Bundesrepublik handle «selbstschädigend» und habe «die schlechteste Regierung ihrer Geschichte», so die 54-Jährige. Es brauche «eine Rückkehr der Vernunft in die Politik», den Erhalt «unserer wirtschaftlichen Stärken», gute Rahmenbedingungen für einen «innovativen Mittelstand», weniger ungeregelte Einwanderung, bessere Bildung, preiswerte Energie aus Russland, die Stärkung der industriellen Wertschöpfung und eine Diplomatieoffensive in der Aussenpolitik.
Vorerst jedoch bekommt Deutschland: eine neue Partei. Denn darum ging es an der Pressekonferenz. Wagenknecht stellte dort, zusammen mit Mitstreiter:innen wie der Nochvorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, Amira Mohamed Ali, den neu gegründeten Verein «Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit» vor. Dieser soll Geld sammeln und die Gründung einer Partei für Anfang 2024 vorbereiten. Wagenknecht, Mohamed Ali und acht weitere Bundestagsabgeordnete erklärten dafür, ebenfalls am Montag, ihren Austritt aus der Partei Die Linke. Zugleich stellten sie den Antrag auf Verbleib in deren Bundestagsfraktion bis Jahresende. Ob sich der Rest der Linksfraktion darauf einlassen wird, ist noch nicht entschieden. Klar dagegen ist: Spätestens zu Beginn des kommenden Jahres, wenn Wagenknecht und ihre Getreuen die Linksfraktion in jedem Fall verlassen müssen, wird diese ihren Fraktionsstatus verlieren. Übrig bleiben dann zwei Parlamentsgruppen mit deutlich weniger Rechten und Ressourcen.
Uneinig in nahezu allen Themen
Allein deshalb ist das nun besiegelte Ende der Linkspartei, wie wir sie kennen, auch ein Ende mit Schrecken. Dennoch dürften viele Mitglieder und Sympathisant:innen der Linken, egal welcher Strömung sie angehören, zu Recht erleichtert sein. Denn die Alternative wäre ein Schrecken ohne Ende gewesen: Hinter der Partei liegen Jahre immer wieder offen ausgetragener Streitigkeiten. Dabei ist seit geraumer Zeit klar, dass sich die Gräben nicht mehr überbrücken lassen. Zu eklatant sind die inhaltlichen Unterschiede in nahezu allen relevanten Themenfeldern der letzten Zeit: Migration, Minderheitenrechte, Corona, Friedenspolitik.
Vor allem Wagenknecht konnte die Dispute medial verwerten. Stark verzerrt, aber höchst effektiv präsentierte sie diese als einen Grosskonflikt zwischen abgehobenen urbanen Milieus und Abgehängten, deren Interessen die Linkspartei angeblich nicht mehr vertrete. Dass ihr Bündnis nun eine neue Arbeiter:innenpartei wird, ist indes unwahrscheinlich. Wagenknechts Rede von «wirtschaftlicher Vernunft» und den «wirtschaftlichen Stärken» Deutschlands, die es zu erhalten gelte, fehlte jeder Funken Klassenanalyse. Dass auf dem Podium neben ihr nicht etwa eine Hartz-IV-Empfängerin oder ein gewerkschaftlich organisierter Metallarbeiter sass, sondern – als einziger Nichtpolitiker – der Techunternehmer und Besteuerungsverfechter Ralph Suikat, darf ebenfalls als Zeichen gedeutet werden, dass hier eine Partei entsteht, die vielleicht behauptet, für die kleinen Leute zu stehen, aber sicherlich nicht von diesen getragen und gestaltet wird.
Rechtsruck vorprogrammiert
Mittelfristig wird sich zudem kaum vermeiden lassen, dass die neue, vom Profil her am ehesten als sozialkonservativ einzuordnende Partei nach rechts driftet. Zumindest, wenn sie bei Wahlen erfolgreich sein will. Noch spekulative Umfragen sprechen dem Bündnis Wagenknecht ein Wähler:innenpotenzial von zwanzig Prozent oder sogar mehr zu. Allerdings sind jene, die angeben, die Partei eventuell wählen zu wollen, grossteils Wähler:innen von CDU, FDP und vor allem der AfD. «Die Partei wäre praktisch gezwungen, eine gesellschaftspolitisch konservative Haltung einzunehmen, um einen hinreichend grossen Anteil ihres Wählerinnenpotenzials auch tatsächlich zu mobilisieren», folgerte der Sozialwissenschaftler Carsten Braband bereits im Juni im deutschsprachigen «Jacobin». Linke Sozialpolitik werde dafür nicht ausreichen. Denn diese sei den potenziellen Wähler:innen Wagenknechts schlicht und einfach nicht so wichtig wie etwa eine restriktive Migrationspolitik. Eine solche wiederum verfolgen im Moment ohnehin alle deutschen Parteien, mit Ausnahme der Linken. Ob die Wagenknecht-Partei also ihr grosses Versprechen einlösen, eine Lücke im deutschen Parteiensystem füllen und den Aufstieg der AfD stoppen kann, ist noch völlig offen.
Und die übrig bleibende Linkspartei? Die kämpft nun ums nackte Überleben. Zwar versuchte ihre Führung am Montag, Optimismus und Selbstbewusstsein zu verbreiten. «Unser Comeback beginnt heute», heisst es in einem Beschlusspapier. Doch die Partei ist ausgelaugt. Auch nach dem Weggang des Wagenknecht-Lagers bleibt ein Haufen ungeklärter Streitthemen. Anders als der Wagenknecht-Verein, der sich hinter einem gemeinsamen Programm versammelt hat und nun loslegen kann, warten auf die Rest-Linke erst einmal weitere Auseinandersetzungen – und so eine höchst ungewisse Zukunft.