Wahlen 2023: Brandschutz gegen rechts

Nr. 43 –

Man kann ja mit Positivem beginnen: Der rechte Block im Parlament ist nicht so viel stärker geworden wie zunächst angenommen, weil die FDP eine Niederlage kassiert hat. Die Linke ist insgesamt zwar geschwächt, doch die SP konnte die Verluste der Grünen teilweise auffangen. Überhaupt, die SP: Sie hat seit ihrem Absturz in den nuller Jahren zum ersten Mal wieder signifikant zugelegt, linke Aussenseiter:innen wie der Zürcher Handicap-Aktivist Islam Alijai und die queere Influencerin Anna Rosenwasser haben die Wahl in den Nationalrat überraschend geschafft, und die Jungen wählten am ehesten die Sozialdemokratie. Ein gutes Zeichen. Bei den Grünen ist immerhin zu hoffen, dass die Partei nach dem Debakel vom Sonntag statt von einem Bundesratssitz zu träumen nun endlich wieder einen oppositionelleren Kurs einschlägt und sich auf die starke, junge Klimabewegung besinnt, die längst verstanden hat, dass ein paar Gesetzesrevisionen den Klimakollaps nicht aufhalten.

Damit, so kurz es geht, zu den schlechten Nachrichten: Der Sieg der SVP ist mehr als eine blosse «Korrektur» der «Klima- und Frauenwahl» von 2019. In einem grösseren Kontext gesehen, knüpft die Partei an ihren kontinuierlichen Aufstieg seit den neunziger Jahren an, von damals knapp 12 auf heute knapp 28 Prozent Wähler:innenanteil. Sie profitiert vom europaweiten Rechtsrutsch – ein Backlash gegen jüngst erstarkte feministische, emanzipatorische, klimapolitische Bewegungen, die die bestehende Ordnung infrage stellen. Im Wahlkampf weckte die SVP einmal mehr erfolgreich Abschottungsgelüste, bot rechten Coronaprotestler:innen ein politisches Zuhause, zeigte sich mit Rechtsextremen und schürte munter Ressentiments.

Selbst die scharfe Kritik der Antirassismuskommission an der rassistischen und hetzerischen Kampagne verwandelte die SVP zu Schmieröl für ihre Wahlkampfmaschinerie. Auf die wichtigen Fragen unserer Zeit – Klimawandel, soziale Ungleichheit oder politische Teilhabe – hat die grösste Partei derweil keine Antworten parat. Das ist keine akzeptable Normalität; es kann nicht genug betont werden, wie menschenfeindlich die SVP agitiert, wie gross der gesellschaftliche Schaden ist, den sie anrichtet, und was für eine zentrale Rolle ihre bürgerlich-konservativen Steigbügelhalter:innen bei der Legitimierung ihrer Tabubrüche und Anliegen spielen.

Es ist schwer zu hoffen, dass SP und Grüne im Parlament in den nächsten vier Jahren punktuell Bündnispartner:innen für eine linke Sozial-, Klima- oder Gesundheitspolitik finden, Partner:innen auch für eine Brandmauer gegen rechts – einen «Cordon sanitaire», wie es der Historiker Damir Skenderovic in dieser WOZ-Ausgabe bezeichnet. Zwar gibt Mitte-Fraktionspräsident Philipp Matthias Bregys nach der Wahl eilig bekräftigte Forderung nach einer härteren Gangart im Asylwesen wenig Anlass zum Glauben, dass eine an Menschenrechten und demokratischen Grundwerten orientierte Allianz im Parlament auch in solchen Fragen bis ins Mitte-Lager reichen würde. Aber wer weiss.

Grund zum Optimismus gibt vor allem die aktive Basis und die Mobilisierungskraft des linken Lagers: Die SP kann radikale Forderungen punkto Einheitskasse, Arbeiter:innenrechte oder Inklusion per Initiative stellen oder Referenden lancieren, wie sie es jüngst gegen die vom Parlament forcierte Aushöhlung des Mietrechts getan hat. Unter der bewegungsnahen Führung von Mattea Meyer und Cédric Wermuth hat sie die Möglichkeiten dazu.

Apropos Bewegung, vielleicht lohnt es sich, bei den allgemein eher betrüblichen Aussichten auch darüber nachzudenken: Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten verzichtete auf einen Urnengang, zudem ist rund ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung von den Wahlen ausgeschlossen. Ein solches Parlament ist demokratisch nur schwach legitimiert. Der Blick darf sich in dieser Zeit deshalb ruhig auch mal vom Bundeshaus lösen, hin zu all der Politik, die ausserhalb gemacht wird: zu all den zivilgesellschaftlichen Organisationen, städtischen Initiativen und Gruppierungen, die sich selbstorganisiert für Sans-Papiers einsetzen, solidarische Strukturen aufbauen, Rechtshilfe für Asylsuchende leisten, laut über Enteignungen und die Vergesellschaftung von Banken und Unternehmen nachdenken, Arbeitskämpfe anzetteln und mittragen, den Klimanotstand fordern, mit Nachbarschaftsinitiativen teure Wohnungen verhindern – oder (wie vergangenen Samstag in Basel) trotz Repression gegen rechte Aufmärsche auf die Strasse gehen.

Sie alle zeigen, was schon da ist und was wir auch in den nächsten Jahren brauchen werden: Mut zum Widerstand; Mut zu radikalen, linken Ideen. Das ist der beste Brandschutz gegen rechts.