Piet Baumgartner: Und wer räumt auf?
HSG, EWS, KMU: Auf der Bühne oder jetzt mit seinem Film «The Driven Ones» landet Regisseur Piet Baumgartner immer wieder bei Chiffren der bürgerlichen Schweiz. Wieso provoziert das manche so sehr?

Regisseur Piet Baumgartner.
«Sind wir ausgrenzend? Absolut!» Ausgrenzung als Marketingstrategie: Wir sind hier im Managementstudium, das Thema ist «Demarketing» am Beispiel des Modelabels Abercrombie and Fitch. Es ist einer der Momente, in denen der Dokumentarfilm «The Driven Ones» seine beiläufige Doppelbödigkeit ausspielt. Elitär, ausgrenzend und stolz darauf? Unweigerlich bezieht man das auch auf den Ort, an dem die Szene spielt: die Kaderschmiede namens Universität St. Gallen, genannt HSG.
Der Film von Piet Baumgartner zeigt fünf HSG-Absolvent:innen beim Studium und später auf ihrem Weg ins Berufsleben. Während sieben Jahren hat der Regisseur sie begleitet, wiederholt ist er dabei auch aufgelaufen. Sei es, weil der Studienleiter pensioniert wurde und zuvor offene Türen unter neuer Leitung plötzlich verschlossen blieben. Oder weil die diplomierten Karrieretypen, als sie dann Jobs bei grossen Consultingfirmen hatten, vor der Kamera gar nichts über ihre Arbeit preisgeben durften. Doch Baumgartner merkte auch, dass er seinen Protagonist:innen in mancher Hinsicht gar nicht so unähnlich ist, wie er beim Gespräch in einem Zürcher Café erzählt: «Ich arbeite auch viel zu viel für meine Projekte – ich verdiene einfach viel weniger.»
Film ist langwierig und teuer
Für seine letzte Arbeit hat er, zusammen mit Julia Reichert vom Theater Neumarkt, immerhin einen offiziellen Bonus erhalten – in Form des Schweizer Kulturpreises für eine herausragende Theaterproduktion. Das war «EWS», ihr phänomenal erfolgreiches Bühnenstück über die Bundesratswahl von Eveline Widmer-Schlumpf. Davor hatte er, zusammen mit dem Musiker Rio Wolta, eine Kirche mit 200 Teekochern in eine begehbare Klangsauna verwandelt («Bittersweet Tea Symphony»). Oder er orchestrierte eine E-Scooter-Revue rund um die Sharing Economy («Trottinett-Ballett», mit Julia Reichert und Rio Wolta).
Film, Theater, Installationskunst: Piet Baumgartner pendelt scheinbar mühelos zwischen den Sparten. In seiner Kurzbio heisst das «transdisziplinär», aber darauf angesprochen, benutzt er lieber niederschwelligere Begriffe. Dass er beim Theater gelandet sei, habe auch pragmatische Gründe: «Film ist so teuer, dass es Jahre braucht, bis du etwas machen kannst.» Was ihn antreibe? Neugier, sagt er, manchmal auch pure Naivität: «Mich interessieren Sachen, die ich nicht schon gemacht habe.»
Wobei ihm auch klar ist, dass er sich nicht jedes Mal neu erfindet. Oft arbeitet er choreografisch, lässt Dinge tanzen, von denen man das nicht erwarten würde. Für ein Musikvideo von Rio Wolta hat er einst ein Baggerballett inszeniert, das dann zur Keimzelle für den Spielfilm wurde, den er unlängst abgedreht hat. «Bagger-Drama» kreist um einen Familienbetrieb, der durch einen Unfall aus dem Lot gerät – wobei die tanzenden Baumaschinen im Film die Gefühle artikulieren sollen, über die zu sprechen die Menschen in dieser Familie nie gelernt haben. Das ist auch autobiografisch gefärbt: Baumgartner ist in einem Mechanikerhaushalt aufgewachsen, in einem kleinen Berner Dorf «mit nur SVP», wie er sagt. Kein Ort zum Bleiben, wenn du schwul bist.
«The Driven Ones» ist jetzt eher untypisch für ihn: eine konventionell dokumentarische Langzeitstudie – keineswegs humorlos, aber ohne die spielerischen Elemente, die seine Arbeiten oft auszeichnen. EWS, HSG, KMU: Immer wieder landet Baumgartner bei Chiffren der bürgerlichen Schweiz. Hat das auch mit seiner Herkunft zu tun? Vielleicht auch, aber er erklärt es eher mit der absoluten Dominanz des Wirtschaftssystems: «Die Wirtschaft prägt unser Leben so stark wie sonst nur Liebe und Tod.»
Möglichst schnell und oberflächlich
Die Welt der CEOs oder von solchen, die es werden wollen, kannte er von seiner Zeit bei «Cash daily», wo er einst zwei Jahre als Videojournalist gearbeitet hatte. Und jetzt löste sein HSG-Film vor allem auch in den Wirtschaftsressorts ein grosses Echo aus. In der NZZ meldete sich der einstige Wirtschaftschef Gerhard Schwarz höchstpersönlich aus dem Ruhestand, um dem Film «trotz einiger Differenziertheit» vorzurechnen, er sei «zu wenig neutral». Und bei «Inside Paradeplatz» mochte Lukas Hässig gar nicht erst auf den Film warten. Der Trailer reichte ihm schon für schiefe Urteile («Banalität auf Superliga-Stufe»), womit er unfreiwillig selbst den HSG-Geist verkörperte, den zwei Studenten im Film explizit problematisieren: In die Tiefe gehen? Geht nicht, hier werde man darauf gedrillt, alles möglichst schnell und also auch oberflächlich zu erledigen.
Die für Baumgartner irritierendste Reaktion kam jedoch von der HSG selber. Kaum war der Trailer im Netz, habe die HSG «unglaublich Druck gemacht», sagt er. «Dabei ist das eine öffentliche Institution mit einem öffentlichen Auftrag, finanziert mit öffentlichen Geldern – die müsste doch offen sein für eine Diskussion über ihre gesellschaftliche Verantwortung.» Zumal man dem Film nicht vorwerfen kann, dass er der HSG oder ihren Studierenden übertrieben kritisch begegnen würde. «The Driven Ones» mag nicht die Demontage sein, die sich manche vielleicht erhofft hatten, aber es sind die beiläufigen Momente, die hängen bleiben. Etwa, wenn ein Student über das Riesenpuff sagt, das nach einer Marketingübung zurückbleibt: Das müsse jetzt nicht ihre Sorge sein. Aufräumen? Müssen immer die anderen.
«The Driven Ones» läuft jetzt im Kino.