Callcenter der Armee: Bitte, bitte, bleib doch!

Nr. 48 –

Die Schweizer Armee hat zu viele Soldat:innen. Der aktuelle Zustand ist gar illegal. Trotzdem kämpft die Truppe mit fragwürdigen Methoden um jeden einzelnen Angehörigen der Armee.

Aushebung von Rekruten in der Kaserne Thun
Ob er bei der Armee bleiben will? Aushebung von Rekruten in der Kaserne Thun. Foto: Kaspar Bacher, VBS/DDPS

Eigentlich wollte Roman Schneider einfach in den Zivildienst wechseln. Die Rekrutenschule und einen Wiederholungskurs hatte er absolviert, dann hatte er genug von der Uniform. Das Gesuch für den Zivildienst war gestellt, die Anmeldung für den Infotag hatte er auch schon erledigt. Da erhielt Roman Schneider, der eigentlich anders heisst, ein E-Mail von der Armee.

Seine Trennung von der Armee werde natürlich akzeptiert, stand darin, aber man wolle ihn noch einmal sprechen. Schneider «verfüge über wertvolle zivile Kompetenzen», hiess es etwas rätselhaft. Deshalb wäre es doch schade, jetzt schon getrennte Wege zu gehen. In den nächsten Tagen werde er per Telefon kontaktiert, von einer Nummer «beginnend mit 058». Man wolle bloss schauen, ob es nicht doch eine Zukunft mit Schneider und der Armee geben könne. Die Armee werde sich auch ändern, verspricht sie im E-Mail. In Zukunft werde sie besser auf Schneiders Bedürfnisse eingehen, über «flexiblere oder kürzere Dienstleistungen» könne man diskutieren, auch «ergänzende Unterstützung in einem anderen Bereich» könnte man anbieten. Roman Schneider müsse dafür nur eines tun: bleiben.

Ein paar Tage später erhält Schneider dann wie angekündigt einen Anruf. Der Mann am anderen Ende wiederholt im Wesentlichen, was schon im E-Mail stand. Schneider lehnt das Angebot zum Verbleib ab. Doch die Schweizer Armee kann offenbar nicht auf ihn verzichten: Bald darauf klingelt das Handy wieder, nochmals «058» am Apparat, nochmals der gleiche Text – nochmals lehnt Schneider ab.

Die WOZ fragt beim Verteidigungsdepartement (VBS) nach, seit wann die Armee ein Callcenter betreibe, um Abtrünnige zum Bleiben zu bewegen. Die Antwort: Es handle sich um ein Pilotprojekt, initiiert im Oktober 2022. Soldat:innen mit einem hängigen Zivildienstgesuch würden kontaktiert mit dem Ziel, sie von einem Wechsel abzubringen. Über 2000 Angehörige der Armee wurden bis heute angefragt. Mit bescheidenem Erfolg: 226 wechselwillige Soldat:innen, also rund elf Prozent, haben das Beratungsangebot angenommen. Davon hat sich allerdings ein knappes Drittel entweder vor dem Beratungstermin wieder zurückgezogen oder war mit der vorgeschlagenen Lösung nicht einverstanden. Letztlich gelang es der Armee, 147 Soldat:innen in den eigenen Reihen zu behalten.

Dann halt auf legale Weise

Warum die Armee sich mit solchem Einsatz um jede:n Einzelne:n bemüht, ist unverständlich, denn das Militär hat eigentlich deutlich zu viel Personal. Statt den von der Politik vorgegebenen 140 000 standen Ende des letzten Jahres über 150 000 Menschen im Dienst der Schweizer Armee. Ein Zustand, der sogar illegal ist, wie die «Republik» berichtete.

Nachdem Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter im Dezember 2022 in einer Interpellation den Bundesrat fragte, was er gegen diesen Überbestand zu tun gedenke, gab sich dieser einsichtig. Verteidigungsministerin Viola Amherd antwortete, man sei sich des Problems bewusst und arbeite aktuell daran, ab 2024 wieder einen gesetzeskonformen Zustand zu erreichen. Dementsprechend präsentierte Amherd ihren Kolleg:innen in der Regierung einen Plan, den Armeebestand in den nächsten Jahren um knapp 20 000 Personen zu verkleinern und in die Legalität zurückzuführen. Die Mehrheit im Bundesrat habe dies aber abgelehnt, berichteten verschiedene Medien. Stattdessen soll das Verteidigungsdepartement eine Vorlage ausarbeiten, die es erlaubt, den Armeebestand zu vergrössern. Was nicht legal ist, wird legal gemacht.

Geld von Stiftungen

Bei so viel politischer Rückendeckung für die Armee erstaunt es nicht, dass das Verteidigungsdepartement kein Problem darin sieht, trotz des Überbestands Ressourcen aufzuwenden, um Soldat:innen von einem Wechsel in den Zivildienst abzubringen. Dafür zuständig sei nämlich der Sozialdienst der Armee, und dieser habe nun einmal den Auftrag, «bei persönlichen und sozialen Herausforderungen der Dienstpflichtigen beratend und unterstützend zu wirken». Konkret kann der Sozialdienst Angehörige der Armee bei der Miete oder einem Studium finanziell unterstützen.

Das Geld dafür stammt nicht vom Militär selbst, sondern von Stiftungen mit klingenden Namen, die an längst vergangene Zeiten erinnern: von der «Stiftung General Henri Guisan» etwa oder der «Schweizerischen Nationalspende für unsere Soldaten und ihre Familien». Auch verschiedene jeweils kantonal organisierte «Winkelriedstiftungen» alimentieren Landesverteidiger:innen in Not.

Dass die Armee einen Überbestand aufweist, habe keinen Einfluss auf die Arbeit des Sozialdiensts, teilt das VBS noch mit. Das Pilotprojekt werde bis Ende Jahr weitergeführt und dann ausgewertet. Es gehe beim Projekt hauptsächlich darum, «die internen Prozesse dahin gehend zu überprüfen, ob und wie sich im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Grundlagen bessere Voraussetzungen für Armeeangehörige im Dienst schaffen lassen». Immerhin scheint sich das VBS bei diesem Projekt also an die geltenden Gesetze halten zu wollen.